Das Kultur-Spiel
Gurgehs Gesicht verzog sich zu einem höhnischen Lächeln. »Und was soll ich angeblich für Sie tun können?«
»Helfen Sie mir.« Mawhrin-Skel sprach so leise, dass seine Stimme beinahe im Brausen des Windes unterging. »Helfen Sie mir, wieder bei Kontakt aufgenommen zu werden.«
»Seien Sie nicht albern.« Gurgeh hob die Hand, fegte die Maschine aus dem Weg und erkämpfte sich den Weg an ihr vorbei.
Als Nächstes kam ihm zu Bewusstsein, dass er neben dem Weg ins Gras geworfen worden war, als hätte ein Unsichtbarer ihn an den Schultern gepackt. Verblüfft sah er zu der winzigen Maschine hoch, die über ihm schwebte. Seine Hände spürten den feuchten Boden unter ihm. Das Gras links und rechts von ihm raschelte.
»Sie kleiner…« Er versuchte aufzustehen. Von neuem wurde er zurückgedrückt. Da saß er nun und konnte es einfach nicht glauben. Noch nie hatte eine Maschine Gewalt gegen ihn angewendet. Es war unerhört. Wieder wollte er aufstehen. In seiner Kehle bildete sich ein Schrei aus Wut und Frust.
Sein Körper erschlaffte. Der Schrei erstarb ihm im Mund.
Er fühlte sich ins Gras fallen.
Dort blieb er liegen, sah zu den dunklen Wolken hoch. Er konnte die Augen bewegen. Sonst nichts.
Er dachte daran, wie er einmal zu oft von einer Rakete getroffen und von seinem Anzug zur Unbeweglichkeit gezwungen worden war. Das hier war schlimmer.
Jetzt war er gelähmt. Er konnte nichts tun.
Sorge machte ihm der Gedanke, sein Atem werde aufhören, sein Herz werde stehen bleiben, seine Zunge werde seine Kehle blockieren, seine Gedärme würden erschlaffen.
Mawhrin-Skel schwebte in sein Gesichtsfeld. »Hören Sie mir zu, Jernau Gurgeh.« Die ersten kalten Regentropfen prasselten auf das Gras und sein Gesicht. »Hören Sie mir zu… Sie werden mir helfen. Ich habe unser ganzes Gespräch von heute Morgen, jedes Ihrer Worte, jede Geste aufgezeichnet. Wenn Sie mir nicht helfen, werde ich diese Aufzeichnung bekannt machen. Jeder wird erfahren, dass Sie in dem Spiel gegen Olz Hap betrogen haben.« Die Maschine hielt inne. »Haben Sie verstanden, Jernau Gurgeh? Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt? Ist Ihnen klar, was ich gesagt habe? Es gibt einen Namen – einen alten Namen – für das, was ich tue, falls Sie ihn nicht bereits erraten haben. Er lautet Erpressung.«
Die Maschine war wahnsinnig. Jeder konnte aufzeichnen, was er wollte, Geräusche, sich bewegende Bilder, Gerüche, Tastempfindungen… es gab Maschinen, die genau das taten. Es gab sie auf Bestellung, und man konnte mit ihnen malen, was an Bildern – ob stehend oder beweglich – man kreieren wollte, und mit genügend Zeit und Geduld konnte man es so realistisch machen wie einen echten Vorgang, der mit einer normalen Kamera aufgenommen worden war. Jede gewünschte Filmsequenz konnte so erzeugt werden.
Manche Leute benutzten solche Maschinen, um zum Spaß oder aus Rache Geschichten zu erfinden, in denen ihren Freunden oder Feinden scheußliche oder komische Dinge zustießen. Wo nichts authentisch zu sein brauchte, wurde Erpressung sowohl sinnlos als auch unmöglich. In einer Gesellschaft wie der Kultur, wo so gut wie nichts verboten war und die finanzielle wie die individuelle Macht buchstäblich aufgehört hatten zu existieren, war Erpressung doppelt irrelevant.
Die Maschine musste tatsächlich wahnsinnig sein. Gurgeh fragte sich, ob sie ihn töten wollte. Er betrachtete die Idee von allen Seiten, versuchte zu glauben, es könne geschehen.
»Ich weiß, was in Ihrem Kopf vor sich geht, Gurgeh«, fuhr der Roboter fort. »Sie denken, ich könne es nicht beweisen; ich hätte es erfinden können; niemand würde mir glauben. Nun, da haben Sie Unrecht. Ich stand in Realzeit-Verbindung mit einem Freund von mir, einem BU-Gehirn, das meiner Sache wohlwollend gegenübersteht. Es war immer der Meinung, ich hätte einen ausgezeichneten Agenten abgegeben, und es hat sich für mich eingesetzt. Was sich heute Morgen zwischen uns abgespielt hat, wurde in allen Einzelheiten von einem Gehirn aufgezeichnet, dessen Moral unanfechtbar ist, und mit einer Genauigkeit der Wahrnehmung, die sich mit den üblicherweise zur Verfügung stehenden Geräten nicht erzielen lässt.
Was ich an Material über Sie habe, kann nicht gefälscht sein, Gurgeh. Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie Ihren Freund Amalk-ney. Er wird Ihnen alles, was ich gesagt habe, bestätigen. Er mag dumm sein und dazu unwissend, aber er müsste in der Lage sein, die Wahrheit festzustellen.«
Regen fiel auf
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