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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Gurgehs hilfloses, erschlafftes Gesicht.
    Sein Unterkiefer hing herunter, sein Mund stand offen, und er überlegte, ob er in dem Regen ertrinken könnte.
    Die Tropfen wurden größer und schlugen härter auf. »Sie möchten gern wissen, was ich von Ihnen will?«, fragte er. Gurgeh versuchte, seine Augen zu bewegen, um Nein zu sagen, nur um die Maschine zu ärgern, aber sie nahm gar keine Notiz davon. »Hilfe«, sagte sie. »Ich brauche Ihre Hilfe. Sie müssen für mich sprechen. Sie müssen zu Kontakt gehen und Ihre Stimme den Stimmen derer beifügen, die meine Rückkehr in den aktiven Dienst verlangen.« Sie senkte sich auf Gurgehs Gesicht nieder. Er spürte, wie an seinem Mantelkragen gezogen wurde. Sein Kopf und sein Oberkörper wurden mit einem Ruck von dem feuchten Boden hochgerissen, bis er hilflos auf das graublaue Gehäuse des kleinen Roboters blickte. Taschenformat, dachte er und wünschte, er könnte blinzeln, und er war froh über den Regen, weil er es nicht konnte. Taschenformat – er würde in eine der großen Taschen dieses Mantels passen.
    Er hätte gern gelacht.
    »Verstehen Sie nicht, was man mir angetan hat, Mensch?« Die Maschine schüttelte ihn. »Man hat mich kastriert, verstümmelt, gelähmt! Wie fühlen Sie sich jetzt? Sie sind hilflos; Sie wissen, die Glieder sind da, aber Sie sind unfähig, sie zu benutzen! So geht es mir, nur weiß ich, sie sind nicht da! Können Sie das begreifen? Ja? Wussten Sie, dass in früheren Zeiten Leute ganze Glieder verloren haben, für immer? Haben Sie Ihre Sozialgeschichte noch im Kopf, kleiner Jernau Gurgeh? Wie?« Die Maschine schüttelte ihn. Er fühlte und hörte seine Zähne klappern. »Erinnern Sie sich, dass Sie Krüppel gesehen haben, aus der Zeit, als Arme und Beine noch nicht nachwuchsen? Damals verloren Menschen Glieder – sie wurden ihnen abgerissen oder abgeschnitten oder amputiert –, aber sie glaubten weiter, sie zu besitzen, meinten, sie noch zu spüren. ›Phantomglieder‹ nannte man sie. Es war möglich, dass diese nicht vorhandenen Arme und Beine juckten und schmerzten, aber es war nicht möglich, sie zu benutzen. Können Sie sich das vorstellen? Können Sie sich das vorstellen, Sie Kultur-Mensch mit Ihrer durch Genmanipulation erworbenen Fähigkeit zur Regenerierung und Ihrem frisierten Herzen und Ihren aufgemotzten Drüsen und Ihrem von Blutgerinnseln freien Gehirn und Ihren makellosen Zähnen und Ihrem perfekten Immun-System? Können Sie sich das vorstellen?«
    Mawhrin-Skel ließ Gurgeh auf den Boden zurückfallen. Gurgehs Kiefer schnellte hoch, und er spürte die Zähne in die Zungenspitze schlagen. Ein salziger Geschmack füllte seinen Mund. Jetzt würde er tatsächlich ertrinken, dachte er, in seinem eigenen Blut. Er wartete auf die echte Angst. Der Regen füllte seine Augen, aber er konnte nicht weinen.
    »Also, stellen Sie sich das vor, nur noch achtfach schlimmer, noch viel schlimmer. Stellen sie sich vor, was ich empfunden habe, ich, der ich als guter Soldaten erschaffen worden war, um für alles zu kämpfen, was uns teuer ist, um die Barbaren um uns aufzuspüren und zu zerschmettern! Alles fort, Jernau Gurgeh, alles abrasiert. Meine Sensor-Systeme, meine Waffen, sogar meine Gedächtnisspeicher, alles reduziert, unbrauchbar gemacht, verkrüppelt. Ich sehe bei einem Abräum- Spiel in die Kugeln, ich drücke Sie mit einem Feld vom Wirkungsgrad acht zu Boden und halte Sie dort mit einem Ersatz für einen elektromagnetischen Effektor fest… aber das ist nichts, Jernau Gurgeh, das ist gar nichts. Ein leises Echo, ein Schatten… nichts…«
    Der Roboter schwebte höher, weg von ihm.
    Er gab ihm die Gewalt über seinen Körper zurück. Gurgeh kämpfte sich von dem nassen Boden hoch und fühlte mit der einen Hand nach seiner Zunge. Das Blut hatte aufgehört zu fließen, die Wunde hatte sich geschlossen. Ein bisschen benommen setzte er sich aufrecht hin und betastete seinen Hinterkopf, wo er den Boden berührt hatte. Die Stelle schmerzte nicht. Er betrachtete den kleinen tropfenden Körper der Maschine, die über dem Weg schwebte.
    »Ich habe nichts zu verlieren, Gurgeh«, sagte sie. »Helfen Sie mir, oder ich vernichte Ihren Ruf. Bilden Sie sich bloß nicht ein, ich würde es nicht tun. Selbst wenn es Ihnen so gut wie nichts ausmachen würde – was ich bezweifele –, würde ich es schon tun, um mir den Spaß zu erlauben, Sie ein kleines bisschen in Verlegenheit zu setzen. Sollte es Ihnen im Gegenteil sehr viel ausmachen und sollten

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