Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
Vom Netzwerk:
wieder, die von wütender Kriegslust besessen war gegen einen Feind, von dem er wusste, dass er sich zum größten Teil aus seinen eigenen Landsleuten zusammensetzte, befehligt von einem Mann, den er einst für einen Freund und fast für einen Bruder gehalten hatte.
    Also musste er Befehle erteilen, die den Tod von Menschen bedeuteten, und manchmal hunderte, tausende von ihnen opfern, sie wissentlich in den fast sicheren Tod schicken, nur um eine wichtige Stellung zu halten oder ein bestimmtes Ziel zu erreichen oder eine lebenswichtige Position zu sichern. Und immer, ob es ihnen gefiel oder nicht, litt auch die Zivilbevölkerung darunter; genau die Leute, für die zu kämpfen sie beide behaupteten, hatten die meisten Opfer in ihrem blutigen Kampf zu beklagen.
    Er hatte versucht, das Ganze aufzuhalten, hatte von Anfang an versucht zu verhandeln, doch keine Seite wollte einem Frieden unter anderen als den von ihr aufgestellten Bedingungen zustimmen, und er verfügte über keine echte politische Macht, also war er gezwungen gewesen zu kämpfen. Sein Erfolg hatte ihn erstaunt, wie er auch andere erstaunt hatte, wahrscheinlich nicht zuletzt Elethiomel, doch nun, am Rande des Sieges balancierend – vielleicht –, wusste er einfach nicht, was er tun sollte.
    Mehr als alles andere jedoch wollte er Darckense retten. Er hatte zu viele tote, trockene Augen gesehen, zu viel an der Luft geschwärztes Blut, zu viel aufgedunsenes, von Fliegen bedecktes Fleisch, um in der Lage zu sein, solche abscheulichen Wahrheiten in Zusammenhang zu bringen mit so verschwommenen Ideen wie Ehre und Tradition, für die die Leute behaupteten zu kämpfen. Das Wohlergehen eines einzelnen geliebten Menschen schien jetzt wirklich des Kämpfens wert; das war das einzig Wirkliche, das Einzige, was seinen gesunden Verstand retten konnte. Das Interesse von Millionen anderer Leute an den Geschehnissen hier in Betracht zu ziehen, bedeutete, ihm eine zu schwere Last aufzubürden; das wäre das unterschwellige Eingeständnis, dass er bereits zumindest teilweise am Tod von hunderttausenden schuldig war, selbst wenn niemand humaner hätte kämpfen können.
    Also wartete er, hielt die Kommandeure und die Kompaniechefs zurück und wartete darauf, dass Elethiomel auf seine Signale reagieren würde.
    Die beiden anderen Kommandeure sagten nichts. Er löschte die Lichter im Wagen, öffnete die Jalousien an den Türen und blickte hinaus in die dunkle Masse des Waldes, während sie unter dem trüben Himmel des Morgengrauens, der die Farbe von Stahl hatte, dahinrasten.
    Sie fuhren an düsteren Bunkern vorbei, dunklen Gräben, reglosen Gestalten, stehen gebliebenen Lastwagen, eingesunkenen Panzern, zugeklebten Fenstern, verhüllten Kanonen, herausgerissenen Pfählen, grauen Lichtungen, zerstörten Gebäuden und zersplitterten Lampen; an dem ganzen Drum und Dran der Randbezirke rings um das Lager des Hauptquartiers. Er betrachtete das alles und wünschte sich – während sie sich dem Zentrum näherten, der alten Burg, die während der letzten Monate de facto seine Heimat geworden war –, dass er nicht anhalten müsste, sondern immer und bis in alle Ewigkeit weiterfahren könnte durch das Morgengrauen, durch den Tag und die Nacht, die letztendlich unnachgiebigen Bäume in Richtung Nichts und Nirgends und Niemand durchdringend – selbst wenn dort eisige Stille herrschte –, geschützt am tiefsten Punkt seines Leidens, abartigerweise zufrieden, weil es jetzt nicht mehr schlimmer werden konnte; einfach weiterfahren und weiter und weiter und niemals anhalten und Entscheidungen treffen müssen, die keinen Aufschub duldeten und die bedeuteten, dass er Fehler machte, die er niemals vergessen konnte und die ihm niemals vergeben würden…
    Der Wagen erreichte den Innenhof der Burg, und er stieg aus. Umgeben von Ordonnanzen eilte er in das prächtige alte Haus, das einstmals Elethiomels Hauptquartier gewesen war.
    Sie quälten ihn mit hunderten von Einzelheiten aus logistischen und geheimdienstlichen Berichten und über kleinere Scharmützel und Fleckchen von Territorium, die hier verloren oder da gewonnen worden waren; es gab Anfragen von Zivilisten und der ausländischen Presse zu allen möglichen Themen. Er schickte sie alle weg und bat die Stellvertretenden Kommandeure, sich damit abzugeben. Er nahm beim Erklimmen der Treppe zu seinen Büroräumen jeweils zwei Stufen auf einmal, übergab Jacke und Mütze seinem Burschen und schloss sich in dem verdunkelten Arbeitszimmer

Weitere Kostenlose Bücher