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Das Kultur-Spiel

Das Kultur-Spiel

Titel: Das Kultur-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Nervensystem und den Ansätzen zu einer Sprache gleicht, oder eine gute Entschuldigung dafür hat, weder das eine noch das andere zu besitzen.
    Natürlich gibt es in Marain Möglichkeiten, das Geschlecht einer Person zu spezifizieren, aber man macht bei der alltäglichen Konversation davon keinen Gebrauch. Die Botschaft der archetypischen Sprache, die mit Stolz als moralische Waffe eingesetzt wird, lautet, dass es auf das Gehirn ankommt, Leute. Keimdrüsen sind es kaum wert, dass man ihretwegen Unterschiede macht.
    In dem, was nun folgt, hat Gurgeh also keine Schwierigkeiten, die Azadier in Gedanken so zu behandeln, wie die Personen der oben aufgeführten Liste… Aber was ist mit dir, o unglücklicher, möglicherweise roher, wahrscheinlich kurzlebiger und zweifellos benachteiligter Bürger einer nicht der Kultur angehörenden Gesellschaft, besonders dann, wenn es sich um eine solche handelt, die – die Azadier würden es für einen Mangel halten – ungerechterweise nur mit der durchschnittlichen Zahl an Geschlechtern bedacht worden ist?!
    Wie sollen wir von den drei azadischen Geschlechtern sprechen, ohne zu komisch wirkenden fremdartigen Ausdrücken oder knarrend unbeholfenen Umschreibungen Zuflucht zu nehmen?
    Beruhigt euch, ich habe mich entschlossen, die natürlichen und auf der Hand liegenden Pronomen für die männlichen und weiblichen Wesen zu benutzen und das dazwischenliegende Geschlecht – die Apices – dem Pronomen zuzuordnen, das ihren Platz in der Gesellschaft relativ zu dem in der euren bestehenden sexuellen Gleichgewicht am besten kennzeichnet. Mit anderen Worten, die genaue Übersetzung hängt davon ab, ob in eurer eigenen Zivilisation – wir wollen terminologisch großzügig sein – die Männer oder die Frauen dominieren.
    (Diejenigen, die mit Recht behaupten können, es seien weder die einen noch die anderen, werden natürlich ihre eigenen passenden Vokabeln besitzen.)
    Nun, genug davon.
    Wo waren wir stehen geblieben? Wir haben den guten alten Gurgeh glücklich von der Gevant-Platte des Chiark-Orbitals weggeschafft und ihn in einem demilitarisierten Kriegsschiff ein gutes Stück auf dem Weg zu einem Rendezvous mit dem Systemfahrzeug Kleiner Schurke, dessen Ziel die Wolken sind, dahinrasen lassen.
    Zu bedenken ist jetzt Folgendes:
    Begreift Gurgeh voll und ganz, was er getan hat und was ihm widerfahren kann? Ist ihm überhaupt schon der Gedanke gekommen, er sei möglicherweise hereingelegt worden? Und ist ihm wirklich klar, worauf er sich eingelassen hat?
    Natürlich nicht!
    Das ist ja der Witz!
     
    Gurgeh hatte in seinem Leben viele Kreuzfahrten gemacht und sich – bei dieser längsten vor dreißig Jahren – mehrere tausend Lichtjahre von Chiark entfernt. So verblüffte ihn die Unmittelbarkeit, mit der er an Bord der Begrenzungsfaktor schon innerhalb weniger Stunden nach seiner Abreise die Kluft von Lichtjahren spürte, die das immer noch beschleunigende Schiff zwischen ihn und seine Heimat legte. Er verbrachte einige Zeit damit, den Schirm zu betrachten, auf dem Chiarks Stern gelbweiß leuchtete und nach und nach dahinschwand, und fühlte sich noch weiter von ihm entfernt, als es der Schirm zeigte.
    Ihm war die Irreführung solcher Abbildungen nie zuvor zu Bewusstsein gekommen. Jetzt, wo er in dem alten Gemeinschaftsraum saß und das Rechteck des Schirms an der Wand vor sich hatte, konnte er nicht umhin, sich wie ein Schauspieler oder eine Komponente in den Leitungen des Schiffes zu fühlen, wie ein Teil des vorgetäuschten Ausblicks auf den Realraum, der vor ihm hing, und deshalb ebenso falsch wie dieser.
    Vielleicht kam es von der Stille. Er hatte aus irgendeinem Grund Lärm erwartet. Die Begrenzungsfaktor bohrte sich mit zunehmender Beschleunigung durch etwas, das sie Ultraraum nannte. Ihre Geschwindigkeit näherte sich dem Maximum so schnell, dass die auf dem Wandschirm aufleuchtenden Zahlen Gurgehs Gehirn betäubten. Er hatte nicht einmal eine Ahnung, was der Ultraraum war. War es dasselbe wie der Hyperraum? Davon hatte er wenigstens schon gehört, auch wenn er nicht viel darüber wusste… Wie auch immer, trotz seiner offensichtlichen Geschwindigkeit war das Schiff beinahe vollkommen still. Gurgeh überkam ein nervenzerfetzendes, unheimliches Gefühl, als sei das alte Schiff, das all diese Jahrhunderte eingemottet gewesen war, noch nicht völlig aufgewacht und das Geschehen innerhalb seiner glatten Hülle wickele sich in einem langsameren Tempo ab, sei halb aus Träumen

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