Das Labyrinth der Zeit
und vielleicht auch einen Brückenkran.
Das Letzte, was Travis noch ins Auge fiel, war ein roter Metallspind an der Wand links vorne, gleich neben den Überwachungsmonitoren. Er sah so ähnlich aus wie der Spind, den Travis früher an der Highschool benutzt hatte, war aber nur halb so groß und in Brusthöhe an der Wand angebracht. Der Spind war mit einem normalen geschlitzten Riegel versehen, der von oben über eine Lasche mit einem Loch darin geklappt wurde, war aber nicht durch ein Vorhängeschloss gesichert. Travis ging spontan hinüber, hob den Riegel hoch und öffnete die Tür. Der Spind war leer. Er schloss ihn wieder und wandte sich zu Paige und Bethany um.
«Er hat hier gewohnt», sagte Paige. «Allen Raines. Er hatte zwar das Haus unten am Waldrand, aber nur zum Schein. Sein eigentliches Zuhause war hier.»
Travis nickte. Die Täuschung wäre perfekt gewesen. Von der Stadt aus hätten die Leute nur gesehen, wie Raines seinen Wagen vor dem Haus parkte und dann durch die Tür hineinging. Dass er das Haus gleich anschließend durch eine Tür auf der Rückseite wieder verließ und durch den Wald am Hang zu der Mine hinaufstapfte, konnten sie dagegen nicht sehen; von unten im Ort aus war er zwischen dem Unterholz und niedrig hängenden Ästen so gut wie unsichtbar.
«Es muss also wichtig gewesen sein», nahm Bethany den Faden auf. «Dass er sich fast die gesamte Zeit über hier aufgehalten hat, statt unten in seinem Haus. Was ja wohl irgendwie mit der Handhabung des Sternguckers zu tun gehabt haben dürfte.»
Bei dieser Aussage blickte sie unwillkürlich zu der Grube hinüber.
Travis setzte sich in Bewegung, auf das Geländer zu.
Etwa auf halbem Wege dorthin begann wieder das knackende Sirren, genau wie vorhin unten in der Gasse. Das an eine Sommerwiese voller Heuschrecken erinnernde Geräusch, tief in seinem Kopf. Mit dem Unterschied allerdings, dass es jetzt, so dicht an seiner Quelle, stärker war, ungleich stärker. So stark, dass Travis unvermittelt stehen blieb und merkte, wie ihm nach wenigen Sekunden so schwindelig wurde, als würde er das Gleichgewicht verlieren. Paige und Bethany ging es offenbar ähnlich, sie schwankten sonderbar, als könnten sie sich nur mit Mühe aufrecht halten. Er streckte die Hände vor sich aus und lehnte sich leicht nach vorn, um auf diese Weise seinen Sturz, sollte er denn erfolgen, kontrollieren zu können. Wie beim letzten Mal auch wurde das Geräusch – oder der Gedanke – immer intensiver, bis es sich nahezu körperlich anfühlte. Als würden in seinem Kopf irgendwelche Geschöpfe umherwimmeln. Mit kribbelnden und krabbelnden Beinchen und Flügeln und Fühlern, die sich jetzt den Hirnstamm hinunterbewegten und auf seinen Hals zubohrten. Bethany schloss die Augen, mahlte sichtlich mit den Zähnen und atmete ganz tief ein, und Travis war sich sicher, dass sie gleich aus Leibeskräften losbrüllen würde –
Und dann war es wieder vorbei. Von einem auf den anderen Moment, wie schon beim letzten Mal. Paige drückte sich eine Hand an den Magen und riss kurz die Augen auf. Bethany, die bis eben den Atem angehalten hatte, stieß die Luft aus. Sie machte einen furchtbar mitgenommenen Eindruck, als müsste sie sich durch einen Schrei Luft machen; aber sie riss sich zusammen und gab keinen Laut von sich.
Travis ließ seine Arme sinken und brachte seine Atmung wieder unter Kontrolle – von ihm unbemerkt war sie gerade in ein flaches, schnelles Keuchen übergegangen.
Er trat an das Geländer.
Paige und Bethany taten es ihm gleich.
Gemeinsam standen sie da und blickten in die Tiefe, ohne ein Wort zu sagen.
Die Grube musste an die hundertachtzig Meter tief sein, wenn nicht noch tiefer. Etwa alle zehn Meter erhellten Quecksilberlampen den Weg nach unten. Die Treppe wand sich an den Schachtwänden entlang nach unten, vom Prinzip her wie eine eckige Wendeltreppe, mit einem weit offenen Freiraum in der Mitte. Von hier oben aus betrachtet, schrumpfte dieser offene Raum zu einem winzigen Quadrat zusammen, bis unten in der Tiefe schließlich der Boden erreicht war. Was genau sich dort unten befand, war von hier oben aus nicht zu erkennen – ob von dem Schacht etwa ein Gang abzweigte oder vielleicht etwas ganz anderes.
Das Einzige, was von hier oben aus klar auszumachen war, war ein sanfter roter Lichtschein, der auf die unterste Treppe fiel und seinen Ursprung offenbar irgendwo seitlich hatte, außer Blickweite. Die Helligkeit dieses Lichts nahm in unregelmäßigen
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