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Das Labyrinth der Zeit

Das Labyrinth der Zeit

Titel: Das Labyrinth der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Patrick
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Ward, der wie vermutet in dem einzigen Bett in der Mitte des Zimmers lag. Sein Kopf war kahlgeschoren, womit Travis in Anbetracht anfallender EEGs bereits gerechnet hatte.
    Nora saß neben ihm. Eine schöne Frau mit sorgenvoll verhärmter Miene. Morgen um diese Zeit würde es ihr noch schlechter gehen, und dieser Zustand würde die kommenden drei Monate über anhalten, mindestens. Eher noch länger.
    Das Letzte, was Travis in dem Zimmer ins Auge fiel, war das Notizbuch. Es lag auf der niedrigen Fensterbank hinter Noras Stuhl, mit einem Stift, der in der Spiralbindung steckte. Der schwarze Kartoneinband zeigte nach wochenlangem Gebrauch bereits deutliche Spuren der Abnutzung, und in der rechten unteren Ecke konnte Travis in der halben Sekunde, die ihm zur Verfügung stand, sogar das Wort Skalar erkennen. Dann war er auch schon an der offenen Tür vorbei und ging weiter den Gang hinunter.
    Jetzt, gut zwölf Stunden später, saß er auf der Bank am westlichen Ende der Monument Street und war nach Kräften bemüht, die neugierigen Blicke zu ignorieren, die sich immer häufiger auf ihn richteten. Zum Schein tat er so, als würde er in einem Comicheft lesen, das er vor sich auf dem Schoß liegen hatte: Krieg der Sterne, Nr. 10: Das Ungetüm aus der Tiefe. Vorne auf dem Titelbild ballerten Han Solo und Chewbacca mit ihren Waffen auf eine grüne Riesenechse ein. Travis fragte sich flüchtig, was eine solche tadellos erhaltene Ausgabe wohl vierunddreißig Jahre später wert sein mochte. Obwohl er ja ohnehin nicht die Möglichkeit hatte, das Heft in die Gegenwart mitzunehmen.
    Ebenso wenig wie Wards Notizbuch, sofern es ihm gelang, es in seinen Besitz zu bringen. Stattdessen würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als sich damit an einen ungestörten Ort zurückzuziehen und das verfluchte Ding hundertmal durchzulesen. Oder zumindest so oft, bis er sich den Inhalt Wort für Wort eingeprägt hatte und ihn mit geschlossenen Augen auswendig wiederzugeben vermochte. Dann würde er mit der Erinnerung Schluss machen und den Text in aller Eile schriftlich festhalten. Zu diesem Zweck hatte Paige bereits ein Laptop auf dem Esstisch parat gestellt, auf dessen Bildschirm ihn ein Word-Dokument mit blinkendem Cursor erwartete.
    Travis hob den Blick und sah erneut zum Krankenhaus hinüber. Beobachtete das Kommen und Gehen der Leute an den beiden Ausgängen, wie er es von seinem Platz aus sehen konnte.
    Die nicht vorhandene Abkürzung war zwar ärgerlich, aber noch keine Katastrophe.
    Katastrophal dagegen war es, dass er das Krankenhaus nicht ungesehen observieren konnte. Es gab kein Versteck für ihn.
    Das war das einzige Problem, das er, Paige und Bethany bei ihrer Vorausplanung nicht hatten berücksichtigen können. Weil unmöglich abzusehen war, was er auf der Nordseite der Monument Street an Aufenthaltsmöglichkeiten vorfinden würde. Im günstigsten aller Fälle hätte er sich einen Abfallcontainer gewünscht, direkt an der Ecke einer Seitenstraße, randvoll mit Müll, in dem er sich hätte verbergen können, um von dort aus ungesehen das Krankenhaus im Auge zu behalten. Leider ein frommer Wunsch – längs der nördlichen Straßenseite gab es weder Abfallcontainer noch Seitenstraßen. Bloß eine Anzahl von Gebäuden reihte sich hier nahtlos aneinander.
    Diese Ausgangslage hatte Travis am Morgen in Augenschein genommen und sich dann den Tag über, während er in der Stadt umherlief, den Kopf darüber zerbrochen. Als Erwachsener hätte er es auf verschiedenste Weise lösen können. Er hätte sich zum Beispiel eine Mundharmonika und eine kleine Holzkiste besorgen können, um sich als vermeintlicher Straßenmusiker auf dem Gehweg zu postieren. Wobei es nicht darauf angekommen wäre, dass er auf der Mundharmonika so gut wie gar nicht spielen konnte – im Gegenteil, mit seinem schiefen Getute hätte er sogar sicherstellen können, dass ihm nur ein Minimum an Beachtung zuteil würde. Die Passanten würden es bewusst vermeiden, ihn anzusehen.
    Aber so viel Aufwand wäre gar nicht nötig gewesen. Als erwachsener Mann hätte er auch einfach auf der Monument Street auf- und abschlendern können, von der Baugrube zu einer der beiden Querstraßen und wieder zurück, notfalls den ganzen Abend über. Stundenlang, immer dieselbe Runde, hundertzwanzig Meter nach Osten und hundertzwanzig Meter nach Westen. Wäre dieses unentwegte Hin und Her irgendwem aufgefallen? Und falls ja, hätte sich dieser Jemand die Mühe gemacht, ihn darauf anzusprechen?

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