Das Labyrinth der Zeit
soeben zu Ende und wurde abgelöst von «Still the Same».
Travis fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Wie lange konnte er sich noch hier draußen herumdrücken, ehe jemand einen Polizisten auf ihn aufmerksam machte?
Dieser Gedanke war ihm kaum durch den Kopf gegangen, als sich auch schon ein Schatten in sein Blickfeld schob. Parallel zu seinem eigenen Schatten, der vor ihm auf das Pflaster fiel. Schritte machten hinter ihm halt, und ein Mann räusperte sich leise.
Travis wandte sich um, schon halb in der Erwartung, einen Polizisten vor sich zu sehen.
Stattdessen stand dort ein Mann in weißem Hemd und Khakihose, um die vierzig und sichtlich verlegen.
«Hey. Na, du», sagte der Mann mit sanfter Stimme. Nicht anders, als hätte er es mit einem herrenlosen Kätzchen zu tun, das ihm über den Weg gelaufen war. Die Straße hinter ihm bis hinauf zur Kreuzung war menschenleer. Dieser Typ hatte einen weiten Weg zurückgelegt, um ihm hallo zu sagen.
Als Travis darauf nichts sagte, trat der Mann näher. War jetzt nur noch drei Meter entfernt. «Du machst einen etwas verlorenen Eindruck. Fällt mir schon die ganze Zeit auf. Ich wohne gleich da hinten.» Er deutete mit einer beiläufigen Kopfbewegung hinter sich, in Richtung der Wohnhäuser direkt gegenüber auf der anderen Seite des Broadway.
Travis schüttelte stumm den Kopf und senkte den Blick auf den Asphalt, weil ihm bei dem nervösen Gesichtsausdruck des Typen langsam unwohl zumute wurde.
«Ich warte bloß auf meinen Dad», sagte Travis. «Danke. Ich komme schon klar.»
Der Mann trat wieder etwas näher. «Du wirkst aber nicht so, als würdest du warten. Eben habe ich dich noch auf der Bank sitzen sehen, und jetzt stehst du hier unten herum. Wie soll dein Dad dich denn finden, wenn du überall in der Gegend herumläufst?»
Die Stimme war noch immer sanft, zurückhaltend. Doch es schwang jetzt auch unverkennbar eine gewisse Aufregung darin mit.
«Weißt du noch nicht, wo du heute Nacht schlafen sollst?»
Du lieber Himmel. Es gab also noch ein zweites Problem, das sie bei der Planung nicht hatten vorhersehen können. Er malte sich aus, wie sich die beiden schieflachen würden, wenn er ihnen später davon erzählte.
Der Mann kam noch einen Schritt näher. Stand jetzt so dicht bei ihm, dass er ihn ohne weiteres hätte berühren können. Richtete dann wieder das Wort an ihn, noch leiser als zuvor, beinahe im Flüsterton. «Es muss nichts passieren. Nichts, was du nicht willst. Versprochen.»
Travis starrte weiter zu Boden. Setzte den kalten, vernichtenden Blick auf, den er sich seinerzeit im Gefängnis aus Gründen des Selbstschutzes angewöhnt hatte, und sah erst dann wieder hoch.
Der Mann wich zurück, als hätte er ihm einen körperlichen Stoß versetzt.
«Sie sollten jetzt wirklich besser abhauen, kapiert?», sagte Travis.
Der Typ nickte hastig, ehe er wortlos kehrtmachte und sich eilig, fast schon im Laufschritt, in Richtung Kreuzung entfernte. Er hatte bereits etwa dreißig Meter zurückgelegt, als Travis auf einmal eine Einzelheit wieder einfiel, die er bei seinem Anmachversuch beiläufig eingeflochten hatte.
Fällt mir schon die ganze Zeit auf. Ich wohne gleich da hinten.
Travis spähte in die Ferne, über die Kreuzung zwischen Monument Street und Broadway hinweg. Auf dem nächsten Abschnitt der Monument Street, westlich des Johns-Hopkins-Hospitals, erhob sich auf der Südseite ein großes Parkhaus, während gegenüber auf der Nordseite eine Reihe Stadthäuser standen. Die meisten davon waren vermutlich in Mietshäuser mit mehreren Wohnungen umgewandelt worden.
Von denen aus man problemlos alle vier Ausgänge hier auf der Nordseite des Krankenhauses überblicken könnte.
«Mister!», schrie Travis dem Mann nach.
16
Unterwegs zu sich nach Hause stellte sich der Mann bei Travis vor. Sein Name sei Garret. Er wohnte im vierten Haus westlich vom Broadway, in einer Wohnung im zweiten Stock. Garrets Bewegungen waren fahrig und nervös, und fast jeder seiner Sätze mündete in ein schrilles, unsicheres Lachen, mit dem er sich beim Reden fortwährend selbst unterbrach.
Er schloss seine Wohnungstür auf und führte Travis umgehend ins Wohnzimmer. Ein dumpfer Geruch nach Kerzenwachs und Makkaroni hing in der Luft. Was Travis aber nur ganz am Rande wahrnahm, weil sein Blick sofort zu dem Erkerfenster gehuscht war, das auf die Monument Street hinausging. Durch das abgeschrägte linke Seitenfenster war die gesamte Front des Hospitals zu überblicken, ein
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