Das Labyrinth der Zeit
Aussichtspunkt, wie er ihn sich besser nicht hätte erträumen können.
Mit dem Nachteil allerdings, dass er einen gewissen Zeitverzug mit einkalkulieren müsste. Fünfzehn Sekunden würde er schon brauchen, um aus der Wohnung nach unten auf die Straße zu laufen, und weitere zehn Sekunden oder mehr, um zur Kreuzung hinüberzuspurten. Aber das war zu verschmerzen. Falls Ward aus einem der beiden näher gelegenen Ausgänge zum Vorschein kam, bliebe ihm immer noch reichlich Zeit, ihn einzuholen, und falls er jenseits des Grand Canyon auftauchte – nun, das wäre in jedem Fall ein Riesenproblem, auch zu ebener Erde. Selbst von einem Müllcontainer direkt gegenüber vom Krankenhaus aus hätte Travis zunächst zur Kreuzung zurücklaufen müssen, um dann den Broadway hinaufzurennen und weiter nördlich den Block zu umrunden. Garrets Erkerfenster taugte da ebenso gut als Ausgangspunkt, um die Verfolgungsjagd aufzunehmen.
Travis sah sich näher im Wohnzimmer um. Der Couchtisch war mit einem Durcheinander von Zeitschriften und Bierdosen und benutzten Papptellern übersät, dazwischen standen drei klobige Keramikbecher herum. Travis ging in die Mitte des Zimmers und blieb direkt vor dem Couchtisch stehen. Er konnte hören, wie Garret ganz dicht hinter ihm haltmachte. Er spürte, wie der Kerl mit angehaltenem Atem dastand.
Travis drehte sich um und sah ihm direkt in die Augen. Garret erwiderte den Blick kurz und musterte dann sein Haar. Travis wusste, dass es ziemlich zerstrubbelt war, seit er am Vortag im Wagen geschlafen hatte – er war noch nicht dazu gekommen, es wieder in Ordnung zu bringen.
«Du kannst gerne duschen, wenn du möchtest», bot Garret ihm an. «Oder, ich habe auch prima Schaumbad, wenn du lieber badest. Die Wanne ist ziemlich groß, falls … na ja, du weißt schon …»
Er beendete den Satz nicht.
Travis erwiderte nichts darauf. Er wartete, bis Garret ihm wieder in die Augen schaute, hob dann unvermittelt den Blick knapp über die Schulter des Mannes und zuckte heftig zusammen.
Dieser kleine Trick funktionierte immer. Die meisten Leute nahmen dabei reflexhaft an, dass sich tatsächlich etwas Gefährliches in ihrem Rücken befand, und reagierten entsprechend. Garret schnellte herum, und gleichzeitig schnappte Travis sich einen der Becher vom Couchtisch und ließ ihn mit aller Kraft gegen den Hinterkopf des Mannes sausen. Wäre der Becher dabei zu Bruch gegangen, wäre es für Garret schon schlimm genug gewesen. Aber der Becher blieb heil, und die gesamte Wucht des Aufpralls traf stattdessen Garrets Schädel. Er ließ eine Art Grunzen vernehmen, ehe er zusammensackte und vornüber auf den Boden kippte. Travis warf sich auf ihn und rammte ihm noch dreimal den Becher gegen den Hinterkopf, so fest er nur konnte, ehe er sich eilig rückwärts von ihm zurückzog. Mit dem Becher in der Hand hockte er da und behielt Garret aufmerksam im Auge, bereit, jederzeit wieder zuzuschlagen.
Er rührte sich nicht.
Kurz darauf hörte Travis ihn atmen, mühsam und keuchend. Travis stand vom Boden auf und verließ das Zimmer, wobei er vorsichtshalber einen weiten Bogen um ihn machte. In der Abstellkammer gleich neben der Wohnungstür machte er eine Rolle Klebeband ausfindig, kehrte damit zurück und benutzte ein Drittel davon, um Garret damit an Händen und Füßen zu fesseln und ihm außerdem den Mund zuzukleben.
Es war inzwischen 22.30 Uhr. Der natriumgelbe Schein der Straßenbeleuchtung erhellte in regelmäßigen Abständen die Monument Street, und in der Wohnung war es pechfinster, von den Fenstern einmal abgesehen. Seit über vier Stunden starrte Travis jetzt schon zum Krankenhaus hinüber. Auch wenn es, realistisch gesehen, noch Stunden dauern könnte, ehe Ward auftauchte, gestattete er sich nicht, den Blick auch nur kurz abzuwenden. Garret hatte sich im Dunkeln einige Male gerührt und leise gestöhnt, war aber nach wie vor bewusstlos. Nachdem er ihn gefesselt hatte, hatte Travis sich in der Wohnung umgesehen. Vor allem in der Hoffnung, vielleicht irgendwo ein Fernglas aufzustöbern. Leider Fehlanzeige. Dafür stieß er auf einen Stapel Fotos, die Garret beim Bergsteigen mit einer Frau zeigten, seiner Freundin wahrscheinlich. Sie war größer als er und gebaut wie ein ziemlich kräftiger Gewichtheber. Ein Psychiater, überlegte Travis, hätte an der verqueren Libido des Typen gewiss seine helle Freude gehabt.
In der Nachttischschublade fand er außerdem einen geladenen Kompaktrevolver, Kaliber .38. Er
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