Das Labyrinth der Zeit
Einzige.»
Solange sie sich kannten, hatte er ihr nur ein einziges Mal etwas verschwiegen: die Botschaft von ihrem zukünftigen Ich nämlich. Die ihn, als sie damals durch die Pforte eintrudelte, getroffen hatte wie ein Schlag in die Magengrube, mit der Folge, dass er in den wenigen Sekunden, in denen er entscheiden musste, ob er ihr den Zettel zeigen sollte oder nicht, schlicht in Panik geraten war und sich dagegen entschied. Viel später aber hatte er ihr dann alles offenbart, und heute gab es nichts mehr, was sie voreinander geheim hielten.
«Das kapiere ich nicht», fuhr er fort. «Wieso ich dir irgendetwas verheimlichen sollte – das kann ich mir einfach nicht vorstellen.»
Aber etwas, das unvorstellbar war, war noch lange nicht unmöglich, schoss es ihm gleich darauf durch den Kopf. Ein beunruhigender Gedanke, den er lieber für sich behielt.
Bethany hatte für sie einen Privatjet gechartert, der sie nach Petaluma in Nordkalifornien bringen würde. Eine halbe Stunde nach dem Start merkte Travis, wie ihm langsam die Augen zufielen. Kein Wunder, er hatte ja die ganze Nacht kein Auge zugetan. Der Schlaf, den er 1978 mitgenommen hatte, zählte nicht, körperlich gesehen. Er stellte seine Sitzlehne zurück, schloss die Augen und glitt fast gleich darauf in einen Traum hinüber. In einen merkwürdigen Traum, in dem Richard Garner gleich neben ihm aufrecht stehend an eine Sackkarre gefesselt war – wie Hannibal Lecter in «Das Schweigen der Lämmer», aber ohne Gesichtsmaske. Auch Präsident Holt kam darin vor, er stand neben einem älteren Mann, der aussah wie der Schauspieler Wilford Brimley. Vielleicht war es ja sogar Wilford Brimley. Der kleine, fensterlose Raum, in dem sie sich befanden, schien sich zu drehen und in Wellen zu zerfließen, ein Eindruck, der Travis an LSD-Trips erinnerte, die er einst an der Highschool eingeworfen hatte. George Washington, dessen Porträt an der Wand gegenüber hing, spitzte in einem fort die Lippen und verengte die Augen, als wäre er drauf und dran, irgendein wichtiges Geheimnis preiszugeben, ehe er es sich wieder anders überlegte. Der Wilford-Doppelgänger stellte Travis beharrlich immer wieder dieselbe Frage: Was sich hinter der grünen Tür verberge. Aber eine grüne Tür kam in dem Traum nicht vor. Lediglich dieser drogenverzerrte kleine Raum, unter dem Travis das unverkennbare Dröhnen von Flugzeugtriebwerken wahrnehmen konnte. «Die Kombination kennen wir bereits», sagte der Doppelgänger. «Vier-acht-acht-fünf-vier. Ersparen Sie sich unnötige Qualen und reden Sie jetzt. Was verbirgt sich dahinter?» Dann spürte Travis einen Schmerz. Einen starken Schmerz, der in seiner linken Armbeuge pochte. Eine leere Spritze fiel ihm ins Auge, auf einem kleinen Tablett vor der Wand. Erst jetzt, wo er sich umsah, merkte er außerdem, dass auch er aufrecht an eine Sackkarre gebunden war. Der Schmerz in seinem Arm schoss rasend schnell aufwärts, bis er sein Herz erreichte und sich von dort aus in seinem ganzen Körper ausbreitete. Am schlimmsten fühlte es sich in seinem Kopf an. Er kniff fest die Augen zu. «Jetzt hören Sie mir gut zu», sagte der alte Mann, so dicht an seinem Ohr, dass sich beim Klang seiner Stimme die Kopfschmerzen noch einmal um ein Vielfaches verschlimmerten.
Travis schreckte so ruckartig aus dem Schlaf auf, dass Paige und Bethany zu ihm hinübersahen. Er schüttelte den Kopf, um den wirren Traum loszuwerden, konnte aber noch immer das stetige Dröhnen hören – von den Triebwerken des Geschäftsjets, die sich gleichmäßig in der Luft hoch über der Wüste drehten.
Bethany hatte ihren Tablet-PC auf dem Schoß liegen. «Es ist fast so weit», sagte sie und hielt das Gerät in die Höhe, damit auch Paige und Travis den Bildschirm sehen konnten. Im Augenblick war dort nur ein durchgehendes Dunkelblau zu erkennen. Es war der Pazifik, wie Travis nach einigen Sekunden klarwurde, der gerade langsam durch das Blickfeld driftete.
«Die Kamera des Satelliten nimmt natürlich ein Gebiet auf, das wesentlich größer ist als Rum Lake», erläuterte Bethany, «aber mit diesem Programm hier kann man eine bestimmte Stelle Land bezeichnen, die dann als Bildausschnitt automatisch vergrößert und die gesamte Zeit über verfolgt wird, solange sie sich im Kamerablickfeld befindet. Dürfte jetzt bald losgehen.»
Weitere fünf Sekunden lang war auf dem Bildschirm nur blaues Wasser zu sehen. Dann tauchte am rechten Rand die Küste Nordkaliforniens auf, rückte mit ein
Weitere Kostenlose Bücher