Das Labyrinth des Maal Dweb
seiner Staffelei und den Farben los und kehrte gegen Sonnenuntergang oder kurz danach zurück. Er sagte mir nicht, wo er gewesen war, und ich stellte ihm keine Fragen mehr.
Am Nachmittag des dritten Tages nach Versendung meines Briefes traf schließlich Miss Olcott ein. Jung, geschmeidig, ganz und gar Frau und Amberville von ganzem Herzen zugetan. Ich glaube sogar, dass sie ihn mit einem Hauch von Ehrfurcht betrachtete. Ich sagte ihr so viel, wie ich ihr eben zu erzählen wagte, und warnte sie vor der morbiden Veränderung ihres Verlobten, die ich einer Nervosität und Überarbeitung zuschrieb.
Ich brachte es einfach nicht über mich, Chapmans Wiese und ihren unheilvollen Einfluss zu erwähnen. Die ganze Sache war zu unglaublich, zu fantastisch, als dass man sie einem modern eingestellten Mädchen als Erklärung hätte anbieten können. Als ich die hilflose Furcht und Verblüffung bemerkte, mit denen sie meiner Geschichte lauschte, überkam mich der Wunsch, sie möge einen willensstärkeren und entschlosseneren Charakter besitzen und sich weniger unterwürfig gegenüber Amberville verhalten, als ich es nun von ihr annahm. Eine stärkere Frau hätte ihn womöglich retten können; doch begann ich jetzt schon daran zu zweifeln, ob Avis irgendetwas gegen das ungreifbare Böse auszurichten imstande war, das ihn zu verschlingen drohte.
Ein fetter Viertelmond hing wie ein blutgetränktes Horn im Dämmerlicht, als er endlich heimkehrte. Ich fühlte mich außerordentlich erleichtert, als Avis’ Anwesenheit eine ungeheuer wohltuende Wirkung auszuüben schien. Sobald Amberville sie sah, legte er die einzigartig schlechte Stimmung ab, die ihn bislang, wie ich schon fürchtete, unumkehrbar in ihren Bann geschlagen hatte, und war beinahe wieder sein früheres liebenswürdiges Selbst. Vielleicht war dies auch nur Spiegelfechterei, die einem finsteren Zweck diente, aber zu dieser Zeit konnte ich das noch nicht ahnen.
Ich beglückwünschte mich innerlich schon dazu, ein Wundermittel herbeigeschafft zu haben. Das Mädchen schien seinerseits sichtlich erleichtert; allerdings sah ich, wie sie ihn ab und zu leicht gekränkt und verunsichert anblickte, sobald er für kurze Zeit in eine düstere Zerstreutheit verfiel, als ob er sie vorübergehend völlig vergessen hatte. Insgesamt jedoch vollzog sich ein Wandel, der in Anbetracht seiner vorherigen Misslaunigkeit und Entfremdung schon nahezu unfassbar erschien. Nach einer angemessenen Frist ließ ich das Paar alleine und begab mich zur Ruhe.
Am nächsten Morgen erwachte ich erst spät; ich hatte verschlafen. Wie ich erfuhr, waren Avis und Amberville gemeinsam ausgegangen und hatten einen Picknickkorb mitgenommen, den mein chinesischer Koch vorbereitet hatte. Offenbar nahm er sie auf einen seiner künstlerischen Ausflüge mit, und darin sah ich ein gutes Zeichen für seine Wiederherstellung. Irgendwie kam es mir gar nicht in den Sinn, dass er sie zu Chapmans Wiese mitgenommen haben könnte. Das boshafte Schattengespinst dieser Angelegenheit hob sich allmählich von meinem Geist, ich ergötzte mich an einer leichter gewordenen Bürde der Verantwortung, und zum ersten Mal seit einer Woche war ich wieder dazu fähig, mich vollkommen auf den Schlussteil meines Romans zu konzentrieren.
Gegen Abend kehrten die beiden zurück, und sofort erkannte ich, dass ich mich offensichtlich gleich in mehreren Punkten getäuscht hatte. Amberville war erneut in unheimliche, finstere Schweigsamkeit verfallen. Neben seiner hochgewachsenen Gestalt mit den breiten ausladenden Schultern kam mir das Mädchen sehr klein, verlassen und jammervoll verwirrt und verängstigt vor. Offenbar war sie etwas begegnet, das ihr Verständnis überstieg, etwas, mit dem sie nach menschlichem Ermessen nicht umgehen konnte.
Die beiden verhielten sich extrem schweigsam. Sie sagten mir nicht, wo sie gewesen waren, andererseits war in diesem Punkt eine Anfrage auch nicht nötig. Wie zuvor schien Ambervilles Schweigsamkeit auf die Versunkenheit in eine finstere Stimmung oder in mürrisches Nachdenken zurückzugehen. Avis machte auf mich jedoch den Eindruck, als unterliege sie einem zweifachen Zwang – als ob es ihr, abgesehen von dem sie umschlingenden Grauen, auch noch verboten sei, über die Ereignisse und Erfahrungen des Tages zu sprechen.
Ich wusste, dass sie die verfluchte Wiese aufgesucht hatten, doch war ich mir ganz und gar nicht sicher, ob Avis das unheimliche und unheilvolle Wesen des Ortes persönlich wahrgenommen
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