Das Labyrinth des Maal Dweb
sollte. Hin und wieder hielt er inne und starrte lange in träumerischer Gebanntheit auf das eine oder andere Element der Landschaft. Mich beschlich die bizarre Vorstellung, dass sich zwischen Amberville und der Wiese eine erstarkende Vertrautheit, ein geheimnisvoller Rapport entwickelte. Ich gewann den unbestimmbaren Eindruck, dass dieser Ort seiner Seele etwas entnommen – und etwas von sich selbst dagegen eingetauscht hatte. Er wirkte wie jemand, der um ein unheilvolles Geheimnis weiß und Akoluth unmenschlicher Kenntnisse geworden ist. Mit einem regelrechten grausigen Geistesblitz, der keinen Zweifel zuließ, erkannte ich den Ort als vampirisches Geschöpf und Amberville als sein williges Opfer.
Ich kann nicht sagen, wie lange ich dort stehen blieb. Schließlich trat ich zu ihm und schüttelte ihn grob an der Schulter.
»Sie arbeiten zu viel«, sagte ich. »Befolgen Sie meinen Rat und spannen Sie für einen oder zwei Tage aus.«
Er sah mich mit dem verwirrten Blick eines Menschen an, der gerade aus einem Drogentraum erwacht. Dieser Ausdruck wich ganz allmählich einem mürrischen, fast bösartigen Zorn.
»Ach, scheren Sie sich doch zum Teufel!«, fauchte er mich an. »Sehen Sie nicht, dass ich beschäftigt bin?«
Da ließ ich ihn zurück, denn unter diesen Umständen vermochte ich wohl nichts Weiteres zu tun. Der Wahnwitz und das Gespenstische der ganzen Situation reichten aus, um mich allmählich an meinem eigenen Verstand zweifeln zu lassen. Mein Eindruck von der Wiese – und von Amberville selbst – war von einem heimtückischen Grauen durchsetzt, wie ich es in wachem Zustand und bei normalem Bewusstsein noch nie empfunden hatte.
Am Fuß des Kiefernhanges wandte ich mich mit einer Mischung aus Widerwillen und Neugier zu einem letzten Blick um. Der Maler hatte sich nicht vom Fleck gerührt, immer noch stand er vor der unglückseligen Landschaft wie ein schreckensstarrer Vogel vor einer Giftschlange. Ob der folgende Sinneseindruck eine Art Doppelbild war, habe ich nie mit Sicherheit feststellen können. Doch in jenem Augenblick gewahrte ich eine schwache, unheilvolle Aura, die weder Licht noch Nebel war, jedoch über den Wiesengrund floss und waberte, ohne dass die Umrisse der Weide, der Erlen, des Schilfes oder des Tümpels undeutlicher wurden. Verstohlen schien sie sich zu strecken und wie mit geisterhaften Armen nach Amberville zu greifen. Der Anblick blieb äußerst flüchtig, und es mochte sich sehr wohl um eine Sinnestäuschung gehandelt haben. Aber er brachte mich dazu, dass ich mich erschauernd in die freundliche Umarmung der hochgewachsenen Kiefern flüchtete.
Der Rest des Tages und der ihm folgende Abend waren von dem düsteren Grauen erfüllt, das ich auf Chapmans Wiese erlebt hatte. Ich glaube, ich verbrachte den größten Teil dieser Zeit in vergeblichem Widerstreit mit mir selbst, in dem fruchtlosen Versuch, den vernunftorientierten Teil meines Verstandes davon zu überzeugen, dass alles, was ich dort gesehen und empfunden hatte, definitiv vollkommen lachhaft sei. Doch gelangte ich zu keinem endgültigen Schluss, ausgenommen der Überzeugung, dass Ambervilles geistige Gesundheit von dem verdammenswerten Wesen unbekannter Beschaffenheit bedroht wurde, das der Wiese innewohnte. Die finstere Persönlichkeit des Ortes, der unfassbare Schrecken, das Mysterium, die Verlockung glichen Spinnweben, die sich in meinem Gehirn festgesetzt hatten und die ich durch keinerlei Geistesanstrengung zu zerreißen vermochte.
Allerdings fasste ich zwei Entschlüsse: Zum einen würde ich sofort Ambervilles Verlobter Miss Avis Olcott schreiben und sie dazu einladen, für die Dauer seines restlichen Aufenthaltes in Bowman ebenfalls mein Gast zu sein. Ich dachte mir, dass ihr Einfluss ihm dabei behilflich sein könne, jener unheilvollen Macht zu widerstehen, die ihm so verderblich zusetzte. Da ich Avis ganz gut kannte, lag in der Einladung nichts Anrüchiges. Ich wollte Amberville nichts davon sagen, in der Hoffnung, dass das Überraschungselement sich als besonders günstig erwies.
Zum anderen nahm ich mir vor, die Wiese nach Möglichkeit nicht mehr selbst aufzusuchen. Da ich wusste, dass es Narretei war, einer mentalen Besessenheit offen entgegentreten zu wollen, musste ich auf Umwegen das Interesse des Malers an jenem Ort schwächen und seine Aufmerksamkeit auf andere Motive richten. Auch konnten Ausflüge und Zerstreuungen vorbereitet werden, und der Verzug meiner eigenen Arbeit schien mir dafür ein
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