Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)
Dann fasste sie nach dem eisigen Metallgriff der Tür und zog sie auf. Die Tür quietschte und Mary musste erst mit dem Fuß Schnee beiseiteschieben, bis sie sie einen Spalt geöffnet hatte, um hindurchzuschlüpfen.
Drinnen empfing sie fahle Dunkelheit. Nur wenig Licht drang durch die zerbrochenen Fenster. Sie befand sich in einer großen Halle mit mehreren Stockwerken, in denen unzählige Tische standen, auf denen verbrannte oder zu Staub zerfallene Kleidungsstücke herumlagen. Metallskelette und verschmutzte menschengroße Puppen präsentierten noch mehr Stofffetzen, von denen man kaum ahnen konnte, was sie einmal dargestellt hatten. Während Mary die Windstille in der großen Halle genoss und ihre klammen Finger wärmte, wurde ihr klar, dass sie sich in einem Klamottenladen befand. Die Herkunft dieser Erkenntnis war ihr ein Rätsel, aber sie zweifelte keine Sekunde daran. Hier waren Menschen früher einkaufen gegangen. Mary blickte an sich hinab. Die Sachen, die sie anhatte, hatte sie in der letzten Welt gefunden. Und auch diesmal hatte sie einen Rucksack entdeckt. So als hätte ihn jemand für sie bereitgelegt.
Neugierig öffnete sie nun die neue Tasche und kramte die Sachen hervor. Wasser, eine Essensration, aber auch Kleidung befand sich darin. Mary schlüpfte dankbar in den warmen Pullover. Dann streifte sie die dicke Jacke, Mütze und Handschuhe über. Endlich wurde ihr ein wenig warm.
Erst jetzt griff sie nach der Flasche und trank in großen, durstigen Schlucken. Das Trockenfleisch und das Brot ließ sie unangetastet. Essen konnte sie später, wenn sie die anderen gefunden hatte. Sie stopfte gerade die Sachen zurück in den Rucksack, als sie ein Geräusch aufschrecken ließ.
León, Jeb, Kathy, Mischa und Jenna standen nur wenige Meter voneinander entfernt im wirbelnden Weiß. Eisiger Wind trieb dichte Schneewolken heran. Sie alle hatten Rucksäcke gefunden und die neuen Sachen angezogen, sodass sie der Witterung nicht schutzlos ausgeliefert waren. Eingemummt in dicke Jacken stapften sie mit den kalten Füßen auf der Stelle und starrten einander wortlos an.
Jenna reagierte als Erste und wandte sich an Jeb. Ihre Fellmütze, unter der die blonden Haare hervorlugten, war schnell vom Schnee bedeckt.
»Erkennst du irgendetwas? Wo sind wir hier?«, fragte sie.
Jeb zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es hier scheißkalt ist.«
»Wo ist eigentlich Mary?«
Ihm war noch gar nicht aufgefallen, dass sie fehlte. »Sie wird schon irgendwo sein.«
Jeb formte seine Hände zu Trichtern und rief nach ihr, bekam aber keine Antwort.
»Warum ist sie nicht neben uns aufgetaucht?« Jenna schaute sich um, aber das dichte Schneetreiben machte es schwer, etwas zu erkennen.
Kathy und Mischa gesellten sich zu ihnen. León folgte kurz darauf. »Mary ist nicht da«, stellte auch Mischa fest.
Kathy runzelte die Stirn. »Das stinkt zum Himmel! Mary ist verschwunden, aber wir finden neue Klamotten. Wer auch immer hinter alldem steckt, möchte uns zwar sterben sehen, will aber nicht, dass wir dabei frieren. Findet ihr das nicht merkwürdig?«
Jeb schaute in ihre grünen Augen. »Seit ich in der Steppe aufgewacht bin, wundere ich mich über gar nichts mehr.«
»Hast du mal nachgesehen, ob du einen neuen Zettel bekommen hast?«, fragte Mischa. »Werden wir immer noch verfolgt?«
»Nein, da war kein neuer Zettel. Was vermutlich heißt, das Ganze geht von vorne los.«
»Meinst du, diese Seelentrinker jagen uns auch in dieser Welt?« Mischa schaute Jeb stirnrunzelnd an.
»Sie hatten zumindest keine Tore, durch die sie hätten gehen könnten. Also hoffe ich, dass wir vor ihnen sicher sind.«
»Ich weiß nicht, ich hab echt ein seltsames Gefühl. Auf der Ebene war bis auf die Hitze alles so ruhig und friedlich, nur unsere Verfolger wirkten bedrohlich.«
»Du meinst, jetzt ist die Umgebung selbst zu unserem Feind geworden?«
Mischa nickte. »Möglich wäre es, oder?«
»He, Leute«, unterbrach sie Jenna. »Es ist arschkalt, wir brauchen einen Unterschlupf und eine von uns fehlt. Wir können das doch später diskutieren. Lasst uns Mary suchen und dann so schnell wie möglich ein Feuer machen. Außerdem habe ich einen Wahnsinnshunger.«
»Denkst du, ihr ist etwas passiert?«, fragte León, der während ihrer Unterhaltung den Blick über die Straßenschluchten hatte schweifen lassen.
Jeb antwortete ihm nicht. Er wollte nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen. »Wir teilen uns auf. Jeder bekommt einen
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