Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
ist es so gewesen, daß Meister Nikola mehr Zeit gegen uns und mehr Geld für sich wollte und Karim das Gegenteil, und vielleicht hat Nikola ihm auch gedroht, irgendwem was auch immer über Karims Geschäfte zu erzählen, wenn er nicht zustimmt.«
»Deshalb das Messer.«
»Ein sauberer Stich reinigt die Luft, wie wir wissen. Deiner Anweisung entsprechend ...«
»Es war eine Bitte.«
»Sagen wir, ein Vorschlag. Jedenfalls habe ich Belgutai geholt – ein guter Bogenschütze, für den Fall, daß Meinungsverschiedenheiten aus größerer Entfernung beigelegt werden müssen. Bekim und seine Schleuder waren uns auch willkommen, als er mit ihr in Curzola aufgetaucht ist. Und der flache weiße Stein als Zeichen, daß wir alles begriffen haben, kam aus Bekims ... Munitionsbeutel.«
Es gäbe noch viel zu erörtern. Ich bin noch nicht dazu gekommen, Bellini zu fragen, was er von Otero weiß – el moro Otero, der Schulden machte, um seinen ergrimmten Kommandanten und unwilligen Schwiegervater mit einem kostbaren Wehrgehänge zu besänftigen, das dieser nach dem trüben Ende dem Händler zurückverkauft hat. Aber die Sonne sinkt; von unten, aus der Küche des Gasthauses, steigt der Duft eines Bratens zu mir empor und erinnert mich an meinen Hunger. Ich werde gleich hinuntergehen; ich mag nicht mehr schreiben.
Oder nur noch dies. Laura ... Nach Karims Ende war sie still. Sie hat mich schweigend verbunden. Als wir allein waren, in Gorans Haus, am Nachmittag, begann sie plötzlich zu zittern. Ich konnte sie nicht in die Arme nehmen, konnte sie nur berühren. Sie ist nicht zusammengebrochen, wie ich es bei vielen Männern erlebt habe, die zum ersten Mal getötet hatten; sie hat nicht einmal geweint. Zuerst ganz leise, dann immer kräftiger hat sie von der Gefangenschaft erzählt. Und von der Folter. Karim – »Ob er immer schon finster war? Oder erst finster geworden ist, weil Kassem von dir geredet hat? Dann müßte ich ihn ja fast bedauern« – hat sie nicht angerührt. Aber man kann auch mit Worten foltern, mit Schilderungen dessen, was mit einem anderen, mit mir, demnächst geschehen würde, danach mit ihr ...
»Ich wollte ja ein wenig mitspielen«, sagte sie schließlich. »Ich habe mitgespielt, bin mitgespielt worden, wenn man das sagen kann. Es war gut. Es war schrecklich. Es ist genug.« Dann küßte sie mich und sagte: »Wir sollten bald heimkehren, zu den Kindern.«
Heute nachmittag kam sie mit einer Magd des Gasthauses, mit warmem Wasser und frischen Tüchern für Verbände. Sie hat die Magd weggeschickt und gesagt: »Ausziehen, Jakko.«
»Ein Jammer.« Ich warf den Umhang ab; ein Hemd kann ich noch nicht wieder tragen.
»Was denn? Welcher Jammer?«
»Ausziehen ... Die schönste der Frauen fordert mich zum Ausziehen auf, und ich kann mich kaum bewegen.«
Sie betrachtete die weiten türkischen Hosen und die Schärpe, die ich statt eines Gürtels trug. »Bauscht da etwas? Eine Geschwulst?«
Ich stöhnte leise. »Dieses Lächeln habe ich auch vermißt. Neben anderen Dingen. Aber ...«
»Kein Aber.« Sie begann sich auszuziehen. Ihr Anblick war kostbarer als alle Erinnerungen, und am liebsten hätte ich geweint. Oder gekreischt.
»Ich kann mich doch nicht bewegen.«
»Du wirst einfach geduldig liegenbleiben, wie ein armer Kranker. Habe ich diese Schärpe so fest verknotet?«
»Ich ergebe mich«, sagte ich. »Wie hast du das genannt? Mir wird mitgespielt? Ich werde mitgespielt worden sein? Und wie soll ich das beschreiben?«
»Gar nicht. Hüte dich.«
Ich höre und gehorche.
Page & Turner Bücher erscheinen im
Wilhelm Goldmann Verlag, München,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe
Random House GmbH.
I. Auflage
Copyright © 2011 by Page & Turner/Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Redaktion: Kerstin von Dobschütz
eISBN 978-3-641-10389-7
www.pageundturner-verlag.de
www.randomhouse.de
Weitere Kostenlose Bücher