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Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Titel: Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Eigentlich hätte ich ein Zischen und zwei dumpfe Einschläge hören müssen, aber durch das Rauschen in meinen Ohren nahm ich nur Pferdegetrappel wahr, Hufschläge, die vom Ort schnell näher kamen.
    Karim stieß einen Fluch aus. Zwischen den Büschen, die den Hang unterhalb des Wegs bis zum Ufer sprenkelten, tauchten weitere Männer auf. Bellini war bei ihnen, Bekim mit seiner Schleuder, Belgutai mit dem Bogen. Die Männer, die mich gehalten hatten, lagen am Boden. Der Schleuderstein hatte dem einen die Stirn zertrümmert, dem anderen steckte ein Pfeil in der Kehle. Eine Gruppe türkischer Soldaten, mit einem Hauptmann an der Spitze, kam vom Ort her angeritten; ich sah noch, daß die Pferde schweißbedeckt waren, hörte einen Warnruf, fing mit der rechten Hand den Degen auf, den mir Bellini zuwarf, duckte mich und entging knapp einem wuchtigen Hieb Karims.
    Stimmen, Schreie, zwei oder drei Schüsse – aber alles ringsum nahm ich nur wie aus der Ferne wahr, wie durch dicke Tücher. Ich sah Karims Augen und die Spitze, dann wieder die Schneide seines Degens. Jakob Spengler der Spielmann fragte sich, ob es sinnvoll gewesen war, Bellini zu schreiben, daß man auf keinen Fall Karim angreifen, sondern ihn dem anderen überlassen sollte, Jakko dem Soldaten, der jetzt den Spielmann übernahm. Nichts rauschte mehr, die schnellen Bewegungen wurden zu einem langsamen Gleiten, das aus einem vergessenen Tanz oder dem Wogen der Dünung weit unter uns stammen mochte. Oder aus dem Dreck des Wegs und der Kriege – kein Grund mehr für ehrenhaftes Fechten, nur noch dreckiges, hartes Kämpfen. Karim hatte von Ehrenhaftigkeit geredet und alle Ehre geschändet. Karim war ein glänzender Fechter, aber Jakko hatte die Erfahrung des Drecks. Dreck im Bauernkrieg, Dreck in der Hölle des Sacco di Roma, Dreck zwischen den zertrümmerten Mauern Wiens. Ich wehrte Karims Angriff ab, duckte mich, griff in den Sand, warf Karim eine Handvoll ins Gesicht, wich dem nächsten fast blind geführten Stoß aus, drehte mich, trat zu, brach seine Kniescheibe mit dem Absatz, tauchte unter einem Stich weg, zog die Klinge über die Finger seiner Degenhand, trennte ihm ein Ohr ab, führte einen Stich gegen sein Herz, traf auf eine Rippe und öffnete ihm den Bauch. Er ließ die Waffe fallen, preßte die verwundete Hand auf den Leib, taumelte und stürzte.
    Plötzlich war der rasende Tanz zu Ende. Ich hörte wieder Stimmen und mein eigenes Keuchen, spürte die Verletzungen, sah Karim vor mir auf dem Boden. Und wußte, daß er leben würde. Der Stich, von einer Rippe abgelenkt, war nicht tief eingedrungen; sickerndes Blut, kein wildes Spritzen, keine Eingeweide. Ich setzte die Spitze des Degens auf sein Herz.
    »Warum?« wollte ich sagen, aber es kam nicht als Wort, sondern als Keuchen heraus.
    Karim öffnete den Mund, schloß ihn wieder, blinzelte zwei-, dreimal und sagte kaum hörbar: »Stich zu. Mach Schluß.«
    Ich holte tief Luft, räusperte mich. »Warum, Karim?« Diesmal waren es vernehmbare Wörter.
    Der türkische Hauptmann sprang von seinem erschöpften Pferd und trat zu mir. »Empfehlungen von Selim Effendi«, sagte er. »Wir sollten dafür sorgen, daß alles anständig zugeht, aber Karim ...«
    Sie hatten in Stano gewartet, am Beginn der langen Halbinsel Sabbioncello, doch waren Karim und seine Männer nicht wie vereinbart erschienen, sondern mit einem Boot nach Orebic gefahren.
    »Warum?« sagte ich noch einmal.
    »Wißt Ihr denn nicht, wer er ist?« sagte der Hauptmann.
    »Karim Abbas?«
    »Karim ben Kassem.«
    Ich starrte hinunter, auf den Boden, ins Gesicht des Finsteren. Das Gesicht von Kassems Sohn. Das des anderen am Rand der Flammengrube. Und plötzlich sah ich die Ähnlichkeit, die ich längst hätte erkennen müssen.
    »Mich hat er gezeugt«, sagte Karim durch die Zähne. »Dich hat er geliebt. Von dir immer geredet. Stoß zu, Mann!«
    Ich spürte Laura neben mir, fühlte ihre Hand auf meinem rechten Arm.
    »Kassems Sohn«, sagte ich. Meine Stimme war schwach, so schwach wie meine Hand am Degengriff. Aller Haß, alle Feindseligkeit war verschwunden, verdunstet, versickert. »Ich ... kann ihn nicht töten.«
    »Aber ich.« Lauras Hand fing den Degen auf, den ich losließ.

    Die Türken wickelten Karims Leichnam in eine Lederdecke und nahmen ihn mit. »Er war ein Schurke«, sagte der Hauptmann, »aber einer der Großen. Wir werden ihn bei seinem Vater bestatten.« Dann lächelte er plötzlich. »Ich hätte es beinahe vergessen, ser Jakko.

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