Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
Bucht gebracht wurden. Zum ersten Mal sah ich nun, ungehindert durch Bäume, Felsen, Zelte, Landvorsprünge und Nebel, die gewaltige Flotte des Sultans, gelenkt und geleitet von Khaireddin, den man im Westen Barbarossa nannte. Ich konnte die Schiffe nicht zählen, aber es müssen weit über einhundert gewesen sein. Ein Wall von Schiffsrümpfen, ein kahler Wald von Masten ohne Segel. Inzwischen habe ich gehört, allein die Schiffsgeschütze hätten in den letzten drei Tagen der Belagerung über zwölftausend Geschosse auf Herceg Novi abgefeuert, die Batterien an Land mindestens ebenso viele. Wir waren zu weit entfernt, um die Schiffe unter dem Rückstoß schaukeln und tanzen zu sehen, aber wir sahen die Schwaden und hörten den Donner.
»Ein prachtvoller Anblick, nicht wahr?« sagte ein Venezianer neben mir.
»Ihr seid kein Krieger?«
Er musterte mich verwundert. »Nein; ich bin Handelsherr. Warum fragt Ihr?«
»Weil mich bei diesem Anblick etwas anderes bewegt.«
»Laßt es mich wissen.«
»Gott sei denen gnädig, denen dieser Beschuß gilt.«
Aber bekanntlich ist mehr Verlaß auf Gottes (oder der Götter) Gnadenlosigkeit. Dies ist, was geschah.
»Bei Preveza wollte der Kaiser, mittels der Schiffe und Soldaten der Heiligen Liga, die türkische Vormacht zur See brechen und an Land einen Brückenkopf erobern, um von dort später ein größeres Heer gen Konstantinopel zu schicken. Der Versuch zur See scheiterte; dennoch ging ein paar Tage später das tercio Sarmientos an Land und nahm Castelnuovo/ Herceg Novi ein. Es bestand aus fünfzehn Kompanien; verstärkt wurde es durch hundertfünfzig Mann leichte Kavallerie und fünfzehn Kanonen. Hinzu kam ein kleines Kontingent griechischer Fußsoldaten und Reiter. Insgesamt war das tercio etwa viertausend Mann stark. Ferner ging ebenfalls an Land der genuesische Kaplan von Andrea Doria namens Jeremias mit etwa vierzig weiteren Geistlichen und Schreibern; hinzu kam die übliche Menge an Marketendern, Burschen, Dienern und Frauen.
Zwar gab es in Castelnuovo starke Befestigungen – die höher gelegene Burg wie auch die eigentlichen Stadtmauern –, aber gegen den Angriff einer Landmacht würde sich die Truppe nur mit Hilfe einer Flotte behaupten können.
Sarmiento nutzte den winterlichen Stillstand dazu, seine Stellung auszubauen: Er verbesserte die Stadtmauern und legte neue Türme an. Und um seinen Mangel an Verstärkungen und Munition zu beheben, schickte er gegen Ende des Winters Hauptleute nach Spanien, Sizilien und Brindisi, erhielt jedoch keinerlei Zusagen.
Die Anwesenheit der Spanier auf ihrem Territorium beunruhigte die Türken sehr, und um schlimmeres Unheil zu verhindern, waren sie entschlossen, dieser so bald wie möglich ein Ende zu machen.
Während des Winters wies Sultan Suleyman Khaireddin Barbarossa an, die Flotte wieder zu versammeln, sie neu auszurüsten und sie im Frühjahr 1539 bereitzuhaben. Zu diesem Zeitpunkt sollten zehntausend Mann Infanterie und viertausend Janitscharen an Bord gehen, um Castelnuovo anzugreifen. Insgesamt sollte Khaireddin über etwa zwanzigtausend Mann verfügen, um die Stadt von Meer aus zu blockieren. Hinzu kamen die Truppen, die Castelnuovo vom Land aus belagern und angreifen sollten; diese (etwa dreißigtausend Mann) sollten ebenfalls Khaireddin unterstehen, und der türkische Gouverneur Bosniens, ein Perser namens Ulamen, sollte sie aufbieten. Die Türken mobilisierten also an die fünfzigtausend Mann, um nicht ganz viertausend Verteidiger zu besiegen.
Dies zeigt, welche Gefahr ihrer Meinung nach von einem kaiserlichen Brückenkopf dem gesamten osmanischen Balkan drohte.
Im Juni 1539 wollte sich Khaireddin der Schiffe bemächtigen, mit denen Andrea Dorias Neffe Gianettino Castelnuovo zu Hilfe gekommen war, doch gelang es ihm nicht, da dieser die nötigen Operationen – Ausladen von Vorräten und anderem Nachschub – sehr schnell durchführte. Es war dies der erste Nachschub seit Beginn des Unternehmens im Oktober 1538.
Khaireddin ließ nun einen seiner Stellvertreter mit sechsunddreißig Galeeren die Küsten, Häfen und Buchten erkunden und die Landung vorbereiten. Dies geschah am Morgen des 12. Juli 1539. Eine Vorhut von dreißig Galeeren schiffte bei Castelnuovo eintausend Soldaten aus, um Wasser zu nehmen, Nachrichten zu sammeln und die eigentliche Flotte zu erwarten. Aber noch vor Mittag wurden sie von drei Kompanien unter dem Kommando des Basken Machin de Munguía und der Kavallerie von Läzaro de Corón
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