Das Lachen der Hyänen: Thriller (German Edition)
Ich lasse es und hebe gleichgültig die Schultern. Er schiebt seinen Teller von sich und winkt mit der Geldbörse den Kellner zu uns an den Tisch. Er scheint es plötzlich eilig zu haben.
Ich stehe auf. »Ich muss mal.«
Während ich am Pissoir stehe und auf die weißen Kacheln an der Wand starre, frage ich mich, ob Kleeberg eigentlich verheiratet ist. Eine Freundin hat. Womöglich ist er schwul. Ich weiß es nicht. Ich kenne Kleeberg genauso wenig, wie er mich kennt. Wenn ich ehrlich bin, will ich ihn auch gar nicht näher kennenlernen.
Als ich von der Toilette zurück bin, ist Kleeberg verschwunden.
2
Wenn der Schreiner die Hobelspäne sammelt,
es weiß niemand, wer seinen Kopf drauflegen wird.
Georg Büchner, Woyzeck
WIR
Wir glauben, alles zu wissen. Wir glauben, alles im Griff zu haben, Bescheid zu wissen. Wir denken, wir hätten einen Vorsprung, und sei es nur an Informationen. Wir glauben an unseren Vorteil, in die Köpfe der anderen blicken zu können.
Aber ist das, was wir sehen, wirklich das, was ist? Oder ist es nur das, was wir zu glauben bereit sind? Ist das, was wir glauben, wirklich das, was ist? Oder ist alles vielleicht doch ganz anders? Vielleicht noch schlimmer?
Wir kennen den Täter. Und wissen doch nicht, wer er ist. Wir wissen, was ihn mit den Opfern verbindet und können doch nicht begreifen, warum er so bestialisch vorgeht. Wir vermuten Rache, Vergeltung und ahnen bereits, wer der Nächste auf der Liste der Opfer sein wird. Wir wissen, dass die Geschehnisse der Vergangenheit die Geschehnisse in der Gegenwart bestimmen. Das Zurückliegende führt Regie im grausamen Schauspiel um Schuld und Sühne.
Dabei weiden wir uns auch am Leid der anderen. Wir ertappen uns dabei, wie wir das Verderben herbeisehnen. Wir machen uns gemein mit ihm. Die Apokalypse scheint etwas Reizvolles zu haben. Auslöschung fasziniert uns. Tsunami, Erdbeben, explodierende Reaktoren sind das tägliche Brot, an dem wir uns laben, das Salz in der schalen Suppe unseres Lebens, die Rosinen in der eigenen faden Existenz. Die Katastrophe macht unseren ereignislosen Alltag erträglicher. Und dennoch: Wir können nicht begreifen, weshalb der Täter noch immer nicht überführt ist. Wir ahnen, dass womöglich auch uns eine Seite, eine Nuance verborgen bleibt, die notwendig ist, um das ganze Geheimnis zu entschlüsseln.
Wir wissen plötzlich, dass wir zu wenig wissen, dass uns Informationen fehlen. Dass wir immer zu wenig wissen werden. Auch wir tappen im Dunkeln.
ICH
Bis auf das fehlende Siegel an der Tür scheint die Wohnung von Laura Tessloff unverändert. Nur der Geruch ist noch schlimmer als vor ein paar Tagen. Es riecht abgestanden, modrig, wie die Wohnung einer Toten. Ich öffne das Fenster. Im Hinterhof schreien Kinder. Müssten die nicht längst im Bett sein? Ich ertappe mich dabei, dass mir nicht nur das Geschrei auf die Nerven geht, sondern Kinder generell – ewig quengelnde Egoisten, die einem die eigene fortschreitende Vergänglichkeit verdeutlichen.
Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, und durchsuche zuerst die Schubladen ihres Schreibtischs, finde aber nichts Ungewöhnliches. Ich wühle in Schränken, Kommoden, Kisten und Schachteln. Schaue unterm Bett nach, unterm Schrank, unter dem Läufer im Flur. Nichts. Ich finde nichts, was meine Ahnung erhärtet.
In diesem Haushalt scheint es nichts Privates oder Persönliches zu geben, keine Fotos, keine Notizen, keine Briefe, kein Tagebuch. Frauen wie Laura schreiben Tagebuch. Wo ist der Computer? Entweder hat die Spurensicherung alles Verwertbare bereits mitgenommen, oder vor mir war jemand anderes hier auf der Suche und hat womöglich etwas gefunden.
In der Küche hängen an einer Pinnwand von Hand notierte Kalendersprüche. »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen«, hing bei uns zu Hause am Kühlschrank im Schwäbischen. Bei Laura Tessloff gehören fernöstliche Weisheiten und Motivationshilfen zur Küchenausstattung. »Du bist stark!« steht auf einem Zettel. Auf einem anderen: »Fürchte dich nicht vor dem langsamen Vorwärtsgehen, fürchte dich nur vor dem Stehenbleiben.« Es ist immer dieselbe Handschrift, wahrscheinlich die von Laura Tessloff. »Ein guter Vater verbirgt seine Krallen. Asiatische Weisheit.« Geschwungene Buchstaben, mit Schnörkeln, groß und rund und mit enormem Druck auf das Papier gebracht. Alles schön leserlich, wie hingemalt . »Es genügt nicht, zum Fluss zu kommen mit dem Wunsch, Fische zu fangen. Man
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