Das Lachen und der Tod (German Edition)
meiner Abmachung mit dem Lagerkommandanten – meine Zeugenaussage für ihr Leben – gewusst hatte, war es durch aus denkbar, dass sie sich bis zu seiner Verurteilung und Hinrichtung vor mir versteckt hielt. Solange ich glaubte, sie wäre tot, musste ich mein Versprechen nicht einlösen. Hatte Helena mir die erniedrigende Zeugenaussage ersparen wollen?
Wieder klopfte es. »Noch fünfzehn Minuten!«
Ich lächelte. Diese Warnung gab mir Henri verlässlich vor jeder Vorstellung. Ich hörte, wie sich der Saal füllte. Ich war nervös. Noch durfte ich kurz hoffen: Wenn ich Helena heute Abend nicht sah, war sie tot. Und ich musste weiterleben. Meine Freunde hatten alles verloren. Also musste ich mich wohl oder übel zwingen, zu glauben, dass Überleben keine Schande war.
Ich stand vor dem geschlossenen Vorhang, holte tief Luft und sog den Raubtiergestank des Theaters ein. Wie oft hatte ich mich gefragt, ob ich wohl noch in der Lage wäre, die Leute zum Lachen zu bringen! Ich verließ mich auf den Komiker in mir. Der machte einen Witz, sobald ihn das Publikum darum bat. Ich sah mich nach Henri um, der neben mir stand, und nickte.
Der Vorhang ging auf.
Ein Meer aus Licht. Applaus. Ich breitete die Arme aus und lief nach vorn zum Mikrofonständer. Triumphierend schaute ich in den Saal.
»Meine Damen und Herren, ich heiße Sie herzlich willkommen. Wir konnten uns eine Weile nicht sehen. Sagen wir, es ist was dazwischengekommen. Und ich musste zwischendurch außerdem kurz weg.«
Ich ließ eine Pause entstehen … und hatte meinen ersten Lacher.
»Seien wir ehrlich, liebe Leute: Das letzte Mal ist viel zu lange her. Wahrscheinlich erkennen Sie mich kaum wieder. Bitte, sehen Sie gut hin!«
Alle Scheinwerfer waren jetzt auf mich gerichtet.
Ich wartete.
Lächelte liebenswürdig.
Und wartete.
Große Heiterkeit.
»Sie können sich vorstellen, dass ich jetzt meinerseits gern sehen möchte, ob Sie noch die Alten sind.« Ein Spot glitt nun über die Publikumsreihen, so hatte ich das mit dem Beleuchter abgesprochen.
»Ja!« Ich zeigte auf einen imaginären Zuschauer. »Ich erkenne auf Anhieb Mevrouw van Dijk, dort in der dritten Reihe. Haben Sie nach wie vor diesen weißen, getrimmten Pudel namens Killer?«
Gelächter. Der Saal taute langsam auf. Der Lichtkegel wanderte langsam über die Reihen. Ich konzentrierte mich krampfhaft auf die Gesichter. »Und da ist Meneer de Roos! Immer noch Gichtprobleme? Geht es? Nein? Tja, meine Damen und Herren, wir haben’s nicht leicht.«
Ich legte erneut eine Pause ein. »Nun, ich freue mich, dass ich hier vor Ihnen stehen darf. Obwohl wir so manchen vermissen. Das wissen Sie genauso gut wie ich.«
Dann glitt der Scheinwerfer über eine Frau, die mir vage bekannt vorkam. Ihr Gesicht war nicht mehr so mager wie in meiner Erinnerung. Ich blieb gefasst, erschrak nicht einmal. Wie oft hatte ich auf der Straße eine Frau an der Schulter ge packt und herumgewirbelt in der Hoffnung, es könnte Helena sein?
»Kann der Spot noch einmal über diese Reihe gleiten?« Ich starrte die Frau an, die ziemlich weit rechts saß, etwa sechs oder sieben Reihen von mir entfernt.
Sie lächelte.
Mir kamen die Tränen. Und dann geschah das Schlimmste, was einem Bühnenkünstler passieren kann: Ich stand da und war ich selbst, so nackt wie ein gehäutetes Kaninchen. War sie es wirklich? Inzwischen richteten sich die Scheinwerfer wieder ausnahmslos auf mich. Ich spürte, wie mir Tränen in den Augen brannten.
Totenstille. Dann erklang zaghafter Applaus. Jemand rief: »Bravo!« Der Applaus schwoll zu rauschenden Ovationen an. Die Menschen sprangen auf. Bravo, hallte es jetzt durch den Saal. Bravo! Bravo!
Der Knoten platzte. Ich war wie befreit. Und lachte.
»Schön, dass Sie hier sind!«
Nachwort
Ich danke dem Cossee-Team, vor allem meinem Verleger Christoph Buchwald für seinen kritischen Blick und sein Know-how – nicht zuletzt auf dem Gebiet der Lagerliteratur. Bedanken möchte ich mich auch bei dem Auschwitz-Überlebenden Robert Cohen, beim Direktor des Zentrums für Holocaust- und Völkermordstudien Prof. Dr. J. Th. M. Houwink ten Cate und beim Kabarettisten Youp van’t Hek für ihre ganz unterschiedlichen Informationen und Hinweise. Selbstverständlich danke ich zudem meinen Mitlesern Boudewijn, John, Carina, Frénk und Annet, die das Manuskript ebenfalls kritisch und gewissenhaft durchgesehen haben.
Beim Schreiben von Das Lachen und der Tod habe ich mich von verschiedenen Autobiografien
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