Das Lachen und der Tod (German Edition)
ich.
»Weil mein Vater schon dort ist.« Er klopfte auf ein ledernes braunes Album, das er fest an seine Brust gepresst hielt. »Ich sammle Briefmarken. Und aus Polen hab ich noch keine. Keine einzige! Ich darf alle Briefmarken haben, stimmt’s Mami?«
»Ich kann dir nichts versprechen, Otto«, sagte eine Frau mit runden Brillengläsern. »Aber hoffentlich sehen wir Papa wieder. Schließlich fahren wir nach Osten.« Sie lächelte die Umstehenden schüchtern an, fast entschuldigend.
»Dich erwartet also noch eine spannende Reise«, sagte ein gesetzter Herr mit einer Bassstimme. »Spannend dürfte es für uns alle werden!« Er wandte sich an mich. »Die Deutschen haben Massel, dass meine Sekretärin noch einen freien Termin finden konnte. Für solche Ausflüge habe ich überhaupt keine Zeit.«
»Wer hat die schon«, sagte ich.
Er lachte und hustete. »Max de Ronde.«
»Ernst Hoffmann.«
Er hatte einen Händedruck wie ein Schraubstock.
» Der Ernst Hoffmann?«
Ich nickte.
»Nie gehört.«
Wieder ein lautes, prustendes Lachen. Alles war eine Spur zu groß und zu laut an ihm, als stünde er auf der Bühne und wollte noch in den hintersten Reihen verstanden werden.
Das mit der Sekretärin sei übrigens kein Witz, sagte er plötzlich todernst. Er sei Diamantenhändler. Einer der besten von Amsterdam, wenn er so unbescheiden sein dürfe. Obwohl er Hände wie Kohlenschaufeln habe, sei mit seiner Feinmotorik alles in bester Ordnung. Er wisse genau, wie man einen Stein anfassen müsse, damit er perfekt funkelte. »Ein Diamant«, sagte er bedeutungsschwer, »ist eine Träne Gottes.«
Ich merkte, wie die Frau im grauen Mantel aufsah. Schaute sie zu mir herüber? Ich spürte einen Stich.
Der Waggon wackelte und klapperte. Die Leute waren resigniert.
In der Ecke saß eine feine Dame im Nerzmantel mit einem blassen, angewiderten Gesicht. Sie war mir schon auf dem Bahnsteig aufgefallen, weil sie gegen die Waggons protestiert hatte. Es sei doch eine Zumutung, so reisen zu müssen, und dann noch mit dem gemeinen Volk? Sie sagte es zwar nicht mit diesen Worten, aber genau so war es gemeint.
Die Frau im grauen Mantel strich einem älteren Mann über den Rücken, der nur den Kopf schüttelte, als bilde er sich das alles bloß ein. Ich konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Wie ein Engel wirkte sie auf mich. Sie schien von innen heraus zu strahlen, sodass ich den Eindruck hatte, sie könnte jederzeit durch die Wände des Waggons verschwinden und wieder zurückkehren.
»Ich möchte mir das mal kurz ansehen.«
Der alte Mann mit dem Elfenbeinstock drängte sich vor, setzte eine Nickelbrille auf und drehte meinen Kopf, ohne eine Antwort abzuwarten, zu sich her. Ich betastete meine linke Schläfe und fühlte etwas Klebriges. Er musterte die Wunde, nahm meinen Puls und sah in meine Pupillen.
»Glück gehabt!«, sagte er. »Trotzdem wollte ich auf Nummer sicher gehen. Ich heiße Levi. Machen Sie sich keine Sorgen, ich war dreißig Jahre lang Hausarzt.« Er holte ein weißes Taschentuch hervor. »Drücken Sie das darauf. Etwas anderes habe ich leider nicht bei mir.«
»Sie bluten auch!«, sagte ich. »Ihr Arm.«
»Eine Schürfwunde, das hat nichts zu bedeuten.«
»Warum tragen Sie keinen Mantel? Es ist doch eiskalt!«
»Den haben ihm die Scheißdeutschen abgenommen«, sagte der Diamantenhändler. »Vorhin auf dem Bahnsteig.«
Doktor Levi sah verbittert drein. »Ja, ja, da war eine Familie mit vier Kindern. Der Waggon war voll, viel zu voll, der Vater passte nicht mehr hinein. Als er sich wehrte, ließen die … ließen sie die Hunde auf ihn los. Zwei dieser Bestien verbissen sich in seine Beine. Der Mann schrie, die Kinder schrien: Papa! Papa! Auf dem Bahnsteig standen zwei SS -Of fiziere. Sie griffen nicht ein. Da bin ich auf sie zugegangen, um ihnen zu sagen, dass sie für diese Wahnsinnstat in der Hölle schmoren werden. Sie haben mich ausgelacht. ›In der Hölle ist es nicht heiß, Alter‹, sagte der eine. ›Nein! In der Hölle ist es bitterkalt!‹ Sie zwangen mich, meinen Mantel auszuziehen. Meine Weste durfte ich nach einigem Gezerre anbehalten. Anschließend wurde ich in den Waggon gestoßen. Grüß den Teufel von uns, haben sie noch gerufen, diese Mistkerle.«
Ich zog meinen Mantel aus und legte ihn um seine Schultern. Er sah mich fragend an, wehrte sich jedoch nicht dagegen. Ich setzte mich wieder und döste zum Rhythmus der ratternden Räder ein.
Als der Zug bremste, weckte mich die Donnerstimme von Max,
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