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Das Laecheln der Chimaere

Das Laecheln der Chimaere

Titel: Das Laecheln der Chimaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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flackernden gigantischen Buchstaben an der Fassade gewesen, man hätte das Haus für das Landschlösschen eines deutschen Fabrikanten irgendwo am Rhein halten können.
    Von der Chaussee führte eine breite, vom Schnee geräumte Kiefernallee zum Haus. Vor dem Eingang, der in grauem Marmor ausgeführt war, drängten sich ein gutes Dutzend ausländischer Nobelkarossen. Kolossows Shiguli sah daneben wie eine erbärmliche Blechkiste aus.
    Trotzdem stand eine ganze Reihe Leute auf den Marmorstufen, um diese Blechkiste zu empfangen: sechs Wachmänner, angeführt von einem mürrisch aussehenden, korpulenten Mann mit raspelkurz geschnittenem Haar – offenbar wollte er so eine beginnende Glatze kaschieren. Er hatte nur ein weißes Hemd ohne Jackett an, die modische Krawatte war verrutscht, und stellte sich als Gleb Kitajew, Leiter des Kasino-Sicherheitsdienstes vor.
    »Sie sind von der Miliz? Von der Kripo?«, fragte er Kolossow. »Nur Sie beide? Mehr kommen nicht? Gott sei Dank! Wir können keine negative Publicity brauchen. Treten Sie ein, bitte sehr . . .«
    Und so begann Nikitas Bekanntschaft mit dem Spielkasino »Roter Mohn«. Oder, wie viele es einfach nannten, mit dem »Haus«. »Casino bedeutet im Italienischen soviel wie Haus«, klärte ihn der Besitzer des »Roten Mohn«, Waleri Saljutow, später in einem privaten Gespräch liebenswürdig auf.
    Kristallene Lüster, ein melodisch plätschernder Springbrunnen, eine breite Marmortreppe, die zum ersten Stock führte. Das Vestibül, in dem sich die Garderobe, die Kasse für die Ausgabe der Chips, die Geldwechselstelle, das Restaurant und zwei Bars befanden, war riesig wie eine Bahnhofshalle und erstaunlich menschenleer. Nur neben der Eichentür rechts von der Garderobe schoben zwei Wachmänner Dienst, und aus der Geldwechselstelle und der Kasse reckten aufgeregte, neugierige Angestellte ihre Köpfe heraus.
    Kitajew erklärte, er habe die Gäste des Kasinos darum gebeten, bis zur Ankunft der Miliz dort zu bleiben, wo die Nachricht von dem Todesfall sie erreicht hatte – im Spielsaal, in der Bar, im Restaurant, im Aufenthaltsraum – und nicht in Scharen ins Vestibül zu laufen.
    Er teilte ihnen mit, dass heute glücklicherweise nur relativ wenige Gäste da seien und dass auf seine Anweisung hin niemand irgendetwas am Tatort berührt habe. Er habe bereits die Identität des Toten festgestellt: »Es ist ein Angestellter von uns, Teterin, er beaufsichtigt die Toiletten und das Raucherzimmer. Ein sechzigjähriger Rentner, der schon seit fünf Jahren hier im Kasino arbeitet.«
    »Wo ist die Leiche?«, unterbrach ihn Kolossow.
    »In der Toilette. Aber vielleicht wollen Sie zuerst mit dem Festgenommenen sprechen? Er ist in der Wachstube, meine Männer sind bei ihm«, erwiderte Kitajew.
    Nikita zuckte die Achseln. Vorläufig begriff er noch gar nichts. Aber um ehrlich zu sein, dieser Todesfall interessierte ihn auch nicht besonders. Er schaute sich in dem eleganten Vestibül um. Irgendwo am anderen Ende des Gebäudes mussten sich die Spielsäle befinden. Dort brodelte das Leben, dort kochten die Leidenschaften. Kolossow hätte gern einmal einen Blick hineingeworfen. Die Neugier juckte ihn. Denn das Kasino »Roter Mohn« ähnelte so gar nicht den üblichen Spielhöllen, die er in den Jahren seines Dienstes bei der Kripo überreichlich zu Gesicht bekommen hatte.
    Das waren dunkle, verräucherte Kellerräume gewesen – halb Bierkneipen, halb Billardzimmer. Derartige Kasinos waren in den letzten Jahren sowohl in Moskau wie in der Provinz in Hülle und Fülle eröffnet worden. Sie tauchten auf, wurden wieder geschlossen und erschienen von neuem auf der Bildfläche, wie Pilze nach dem Regen. Ihre Namen passten zu ihren Besitzern wie auch zu ihrem Publikum: »Rio-Rita«, »Eldorado«, »Flamingo« oder »El Paraíso«.
    Der »Rote Mohn« unterschied sich von solchen Spelunken wie ein Goldstück aus der Zarenzeit von einer schäbigen Kupfermünze.
    »Entschuldigung, dürfen wir bitte fahren!«
    Eine hinter ihm stehende Frau hatte das gesagt. Ihre Worte klangen herrisch und gleichzeitig fast flehend.
    Kolossow blickte sich um. Vom anderen Ende des Vestibüls, wo sich die Chipsausgabe befand, waren drei Leute aufgetaucht: eine hochgewachsene, dunkelhaarige Dame in einem langen Pelzmantel aus kostbarem Silberfuchs, ein stämmiger Mann in kurzer roter Schaffelljacke, die weit offen stand, und eine gebeugte alte Frau in einem teuren, modisch geschnittenen Persianermantel, die sich auf den

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