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Das Laecheln der Chimaere

Das Laecheln der Chimaere

Titel: Das Laecheln der Chimaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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war.
    Der Untersuchungsführer war erstaunlich gut über alle Interna der Branche informiert. Man wurde das Gefühl nicht los, dass er höchstens fünf Prozent von dem, was er wusste und dachte, auch aussprach und mit Absicht scheinbar oberflächliche, uninteressierte, sehr höfliche Fragen stellte.
    Das Leitmotiv dieses ganzen Spinnennetzes aus Worten aber war: Wer hatte diesen Mann ermordet? Wer?
    Das Interessante daran war, dass Saljutow genau wusste: Alle diese Fragen richteten sich im Grunde gar nicht an ihn. Er hatte zum Mord an dem Beamten nicht die geringste Beziehung. Er hatte keinen Auftrag gegeben, keinen Killer angeheuert, niemanden bezahlt, nicht geschossen. Ob der Untersuchungsführer das ebenfalls wusste, war schwer zu sagen. Vielleicht verdächtigte er auch Saljutow und hatte ihn auf seine Liste der zu überprüfenden Personen gesetzt.
    Während der gesamten Unterredung stellte er Saljutow jedoch keine einzige direkte Frage. Er erwähnte auch jenen Namen nicht. . .
    Eigentlich hatte Saljutow damit gerechnet, dass der bewusste Name beim Verhör fallen würde. Er wollte geradezu, dass der Untersuchungsführer endlich sagte: »Kennen Sie einen gewissen Tengis Milowadse? Könnte er vielleicht mit diesem Fall etwas zu tun haben?«
    Aber der Untersuchungsführer sagte nichts dergleichen. Und Saljutow schwieg ebenfalls. Freilich, wäre dieser Name im Lauf des Gesprächs gefallen, so wäre es noch ungewiss gewesen, wie er sich benommen, was er dem Untersuchungsführer geantwortet hätte. Aber es fiel weder der Name Milowadse noch der andere, sein Spitzname, der in Saljutows Ohren vertrauter klang – Chwantschkara (»Chwantschkara« ist ein georgischer Rotwein, dahei ein passender Spitzname für den Georgier Milowadse) .
    »Wohin jetzt, Waleri Wiktorowitsch?«, fragte Kitajew. »Nach Hause?«
    »Lass uns erst noch irgendwo zu Mittag essen.« Saljutow schaute zum Fenster hinaus. Draußen war nichts zu erkennen, nur Schnee und flirrende Lichter, die die Augen reizten. Das waren die illuminierten Tannenbäume, die in den Schaufenstern leuchteten.

2
    Die Tage zwischen Neujahr und Weihnachten (Das russisch-orthodoxe Weihnachtsfestwird am 7. Januar gefeiert, also nach Neujahr. Geschmückte Tannenbäume stellt man aber schon zu Neujahr auf) ähneln bunten Seifenblasen. So jedenfalls kam es Katja immer vor – Katja Petrowskaja, nach ihrer Heirat Krawtschenko. Keine gewöhnlichen Werktage, aber auch keine richtigen Feiertage. Eine Zeit der Freiheit, Winterferien eben: violette Morgendämmerung, Laternen, die schon nachmittags vorm Fenster aufflammen, ein Tannenbaum, der noch nicht weggeräumt ist, heißer Tee und Apfeltaschen, Schneestürme . . .
    Neujahr hatten Katja und ihr Mann Wadim Krawtschenko in der alten Datscha seiner Eltern auf dem Land gefeiert, in der Gesellschaft von zahlreich angereisten Freunden und Bekannten samt deren Frauen und Freundinnen. Den Neujahrsbaum schmückten sie im Hof vor dem Haus und bauten noch ein ganzes Regiment von Schneemännern dazu. Wadim heizte die Banja an. Zwei Stunden vor Mitternacht peitschten alle Gäste männlichen Geschlechts einander in dem kleinen Blockhaus bis zur völligen Erschöpfung mit Birkenreisern, um sich anschließend unter urigem Geheul, das ihren prähistorischen Vorfahren alle Ehre gemacht hätte, nackt in die Schneewehen neben der Vortreppe zu stürzen.
    Nur schade, dass unter den Draufgängern, die den Jahreswechsel im Schnee begrüßten, Sergej Meschtscherski fehlte, ihr alter Freund aus Kindertagen. Das Reisebüro »Moskauer Geographischer Klub«, wo er seit einigen Jahren im Schweiße seines Angesichts schuftete, hatte für die Sonntagszeitung »Rund um die Welt« zu Neujahr eine Abenteuerreise quer durch Indien, Nepal und Tibet organisiert, und Sergej hatte die Reiseleitung übernommen.
    Aber nun war das Fest unter dem Krachen von Feuerwerk und Knallfröschen zu Ende gegangen. Die Gäste wurden allmählich nüchtern und machten sich auf den Nachhauseweg. Draußen schneite es heftig, der Wind wehte den Schnee über die Datschensiedlung – über Dächer, Häuser, Schuppen, Banjas, die in den Höfen aufgestellten Tannenbäume, den Wald, den See. Im weißen Flockenschleier konnte man nichts sehen, nur das eigene Spiegelbild in der Fensterscheibe.
    Am Morgen des fünften Januar, einen Tag vor dem Weihnachtsfest, brach Wadim Krawtschenko wieder zum Dienst auf: Er hatte über die körperliche Unversehrtheit seines Arbeitgebers Wassili Tunigunow zu wachen

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