Das Lächeln der Kriegerin
Türme so drohend vorgekommen. Einst als Vorposten gegen den Feind erbaut, boten sie nun diesem Schutz. Und von dieser Seite aus wirkte der Heeresring, den man um die Feste gebildet hatte, mochte er auch aus vielen tausend Köpfen bestehen, als wolle eine Schar Stubenfliegen ein Hornissennest angreifen.
Lothiel vermutete, dass es nicht einfach sein würde, Magor und Rochon ausfindig zu machen. Daher entschied sie, sich zunächst zur Königin führen zu lassen. Man brachte sie zu einem großen Zelt, das inmitten des Lagers dem Tor zur Stadt gegenüberstand. Nachdem der Posten sie gemel det hatte, wurde Lothiel umgehend vorgelassen.
Die Königin stand in ihrer rotgoldenen Rüstung an einem großen Tisch, der in der Mitte des Zeltes aufgestellt war. Ihre Erscheinung strahlte Macht und Entschlossenheit aus. Und doch erkannte Lothiel sofort wieder die Trauer in ihren Augen. Bei ihr waren einige der Fürsten und Grafen. Auch Sundan war darunter und nickte ihr freundlich zu. Neben Araniel stand Istyar. Er lächelte.
»Ich freue mich, dass der weise Istyar recht behalten hat, als er mir ein Wiedersehen mit dir ankündigte«, sagte die Königin. »So kann ich dir persönlich von dem Schmerz berichten, den ich empfand, als ich von den weiteren Opfern erfuhr, die dieser unselige Krieg von dir forderte.«
»Ich danke Euch für diese Anteilnahme, meine Königin. Vor allem da ich weiß, dass sie Eurem ganzen Volk gilt und allen, die unter der Gewalt von Schwert und Pfeil leiden.«
Araniel lächelte. »Mir scheint, Istyar täuschte sich in keiner Vermutung, die dich betraf. Du hast einen weiten Ritt hinter dir. Es sieht nicht so aus, als könnten wir in den nächsten Stunden entscheidende Schritte tun. Man wird dir ein Zelt bereiten, in dem du dich ausschlafen kannst. Wenn du ein wenig gegessen hast, werde ich dich hier zurückerwarten. Nur eine törichte Herrscherin würde auf den Rat eines so klugen Mädchens verzichten.«
Als Lothiel erwachte, fand sie bereits den Tisch gedeckt. Sie genoss das weiße Brot zu dem noch warmen Wildbret und naschte von den süßen Früchten.
»Ich hoffe, nach den entbehrungsreichen Tagen konnten dich die Speisen der Königin außerhalb ihres Palastes zufriedenstellen.«
Lothiel wusste nicht, wie lange Istyar schon im Eingang des Zeltes gestanden hatte. »Wart Ihr Euch wirklich sicher, dass ich zurückkehren werde?«
»Wer kann sich schon einer Sache vollkommen sicher sein? Aber ich habe darauf vertraut.«
»Was liegt Euch daran? Ich habe schon vor Arminas versagt.«
»Arminas war nicht das Ende, nur ein Schritt auf dem Weg. Es bedeutete weder Sieg noch Versagen. Und mir scheint, du hast dich deiner Tugenden erinnert.«
»Glaubt Ihr das?«
Für einen Moment schwieg der alte Mann und sein Lächeln verschwand. »Nun, ich fürchte, deine Kindheit ist für immer verloren.« Wieder machte er eine Pause. Dann kehrte sein Lächeln zurück. »Alles hat seinen Preis.«
»Dann denkt Ihr, ich habe mich richtig entschieden?«
»Diese Frage solltest du dir selbst beantworten können.«
»Ihr wisst es nicht.«
»Nein. Niemand kann das wissen. Manchmal scheint es keinen richtigen Weg zu geben. Dann bleibt dir nur, dich mit Herz und Verstand für den besseren zu entscheiden.«
»Auch das ist nicht leicht.«
Istyar lachte. »Nein. Doch dazu brauchst du meine Hilfe nicht. Es gibt andere Fragen, die dich bedrängen und die ich dir vielleicht beantworten kann.«
Lothiel wusste, auf welche Fragen der alte Mann anspielte. Er hatte schon vor der Schlacht von Arminas darauf gehofft. »Wer ist es, gegen den wir kämpfen? Wer ist Naurhir? Woher kommt er? Und woher kommen die, die wir Fremdländer nennen?«
»In den Liedern um Naurhir, die du wahrscheinlich kennst, heißt es, er sei aus wilden Ländern im Osten gekommen, um mit einer Armee von bösen Menschen und grässlichen Kreaturen die Lande mit Tod und Unheil zu überziehen. Doch auch Lieder können vergessen. Manchmal ist ihnen ihr Anliegen wichtiger als ihre Wahrheit und hin und wieder vermischen sie ihr Wissen mit dem anderer Lieder. Denn Narturo war kein Fremder aus dem Osten. In den alten Tagen, da die Magie noch vielfältig war, lebte er am Hofe Taraltas und war des Königs Ratgeber. Er diente ihm gut, hatte großen Anteil an den Siegen in vielen Eroberungskriegen. Der König war mächtig wie schon seine Vorfahren. Und sein Volk war wie der Sturm aus dem Norden gekommen. Sein Sohn Taratan aber war von anderer Natur. Er suchte den Frieden mit
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