Das Lächeln der Kriegerin
waren.
Das Heimatdorf Selldurs lag nur etwa einen halben Tagesritt nordöstlich der Königsstadt. Daher erschien es Lothiel wahrscheinlich, dass seine Familie eine der ersten gewesen war, die die Heimreise angetreten hatte. Selldur aber war davon noch immer nicht vollständig überzeugt.
»Meine Mutter macht sich stets große Sorgen. Sie wird meinen Vater überredet haben, die sichere Stadt so spät wie möglich zu verlassen.«
Der kürzeste Weg zum Osttor führte sie über den Markt. Am Brunnen hatte sich bereits eine Schlange gebildet. Frauen und Kinder besorgten die Wasservorräte für den Tag. Lothiel betrachtete ihren Begleiter. Sie wünschte, er würde seine Familie endlich finden. Doch bei dem Gedanken daran spürte sie den eigenen Verlust deutlicher als in den Tagen zuvor.
»Sawen!« Selldur war plötzlich sehr aufgeregt. »Mutter!«
Eine der Frauen, die am Brunnen anstanden, drehte sich zu ihnen um. Arbeit und Sorgen hatten ihr Haar ergrauen lassen und in Stirn und Wangen tiefe Falten gegraben, doch Lothiel erkannte sofort die Ähnlichkeit, die sie mit Selldur verband. Der war längst vom Pferd gesprungen und lief auf die Mutter zu.
Endlich löste sich Sawen aus der Umarmung, wischte sich die Freudentränen aus dem Gesicht und wandte sich an Lothiel. »Ihr seid also die neue Herrin meines Sohnes.« Sie verbeugte sich tief.
»Das müsst Ihr nicht«, sagte Lothiel. »Ich bin nicht von Adel.« Sawen musterte sie. Ihre gebeugte Haltung ließ die ohnehin nicht große Frau mehr als einen Kopf kleiner er scheinen als Lothiel. »Dann haben Eure Taten Euer schö nes Antlitz veredelt. Es ist für meinen Sohn eine große Ehre, Euch zu dienen.«
»Selldur ist frei, zu gehen, wohin es ihm beliebt. Den Hof, für den ihn die Königin als Knecht befahl, gibt es nicht mehr. Euer Sohn bewies in seinen Taten Treue und Tapferkeit. Daher wäre es mir eine Ehre, wenn Ihr mich wie seine jüngere Schwester sehen wolltet.«
Lothiel sah Tränen der Rührung in den Augen von Mutter und Sohn. Wieder fuhr sich Sawen mit der Hand über die Augen. »Dann sollst du meine zweite Tochter sein.« Sie lächelte. »Wenngleich es mir bei einem Blick in deine Augen scheint, dass du in deinen jungen Jahren meinen Kindern an Reife weit überlegen bist.«
Selldurs Familie lagerte nur unweit westlich des Marktes auf einem kleinen Platz, den die beiden bei ihrer Suche übersehen haben mussten. Sie wollte erst am nächsten Tag die Stadt verlassen und so blieb Zeit, sich bekannt zu machen und von den Geschehnissen zu berichten. Lothiel fühlte sich warmherzig aufgenommen, doch diese Wärme rief in ihr auch schmerzhafte Erinnerungen wach. So entschuldigte sie sich nach dem Mittag, um allein ein wenig umherzustreifen.
Lothiel achtete kaum auf ihren Weg. Erst als die Straße ein wenig anstieg, hob sie den Kopf und bemerkte, wohin ihre Beine sie geführt hatten. Sie befand sich am Fuße des Hügels, der den Königspalast trug. Sie stand nur wenige Schritte vor dem unteren Tor, das von in Rot und Schwarz gekleideten Bewaffneten bewacht wurde. Schon wollte sie umkehren, als ihr Ostwen einfiel. War sie ihr nicht einen Besuch schuldig? Die Grafentochter hatte sich gut um sie gekümmert. Mehr noch, sie war wie eine Freundin zu ihr gewesen. Doch würde man ihr auch dieses Mal Zugang zum Palast gewähren? Sie ging auf einen der Posten zu.
»Mein Name ist Lothiel. Ich war vor etwa einem Monat Gast der Königin und suche die Tochter des Grafen von Rimgarth. Könnt Ihr mich zu ihr lassen oder ihr von mir berichten?«
»Ich erkenne Euch wieder, denn ich sah Euch mit der königlichen Garde kommen. Gern würde ich Euch helfen, doch weder der Graf noch seine Tochter befinden sich in Arminas.«
»So nahm der Graf Ostwen mit in die Schlacht?«
»Nein. Man sagt, der Graf widersetzte sich den Befehlen der Königin. Ich selbst sah ihn aus dem Palast reiten, nur einen Tag nach Eurer Abreise. Es heißt, er sei ungeduldig und erzürnt gewesen, denn er wollte nicht warten, bis Arminas gerettet sei, um seine Grafschaft zu befreien.«
»Und er nahm Ostwen mit sich?«
»Nein, er ließ sie zurück. Oft sah ich sie im königlichen Park. Und immer sprachen Trauer und Sorge aus ihrem Blick, der nach Osten gerichtet war. Als die Königin in die Schlacht zog, war sie bei ihr. Ich erkannte sie erst nicht wieder, denn sie war für den Krieg gerüstet und in ihren Augen brannte eine Entschlossenheit, die ich der jungen Gräfin nie zugetraut hätte.«
»Das sind
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