Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
um ihr das Leben zu retten, dann machen wir das, hm?»
Lol nickte in Richtung des Durchgangs, aus dem Inspector Gee gekommen war. «Ist sie allein?»
«Um Gottes willen, nein. Die Sanitäterin ist bei ihr. Wenn mehr als zwei Leute drin sind, fühlt sie sich bedroht und bewegt sich weiter in das Fenster hinein. Wir versuchen die ganze Zeit, sie am Reden zu halten, weil sie ein-, zweimal fast eingeschlafen wäre. Man sollte meinen, das wäre dann unsere Gelegenheit, sie zu schnappen, aber sie sitzt so nah an der Fensteröffnung, dass sie dann ganz leicht … weg sein könnte.»
Sandy Gee erschauderte. Sie war ungefähr in Lols Alter, hatte lockige, tiefrot gefärbte Haare und Ohrringe, die aus bunten, ineinandergehakten Büroklammern zu bestehen schienen. Familienangelegenheiten: War das eine Kreuzung aus Polizei- und Sozialarbeit?
«Ich würde gerne jemanden –», begann Lol.
«Um ganz ehrlich zu sein, Martin, wir wollen aus den eben genannten Gründen wirklich nicht Gott und die Welt dadrin haben.»
«Jemand, der …» Er zögerte. «Merrily Watkins?»
Sandy und Steve tauschten einen Blick. Sandy sagte, «Dr. Saltash und die Kanonikerin –»
«Haben ihre Meinung, Mrs. Watkins betreffend, geändert», sagte Lol. «Sie besprechen es gerade.»
Sandy Gee sog ihre Lippen nach innen und dachte darüber nach.
«Na gut, dann suchen Sie Mrs. Watkins mal, Steve.» Sie wandte sich an Lol. «Die beiden waren der absoluten Überzeugung, dass jede Art Zeremonie nur Sams Phantasie bestärken würde. Dr. Saltash hat darauf bestanden, dass es die einzig vernünftige Strategie ist, sie langsam, aber sicher an ihre tatsächliche Situation zu gewöhnen.»
«Und die Phantasie ist …?»
«Sie scheint anzunehmen, dass einige … ich weiß nicht, Geister? … tote Menschen wollen, dass sie zu ihnen kommt. Sehr stark vereinfacht gesagt. Es hat eine Menge mit Schuld zu tun und mit den Dingen, von denen sie glaubt, sie hätte sie getan. Im Endeffekt fühlt sie sich wohl von … Einflüssen bedrängt, die sie nicht loswird.» Sandy blickte zum Eingang des Turms. «Es ist uns inzwischen gelungen, die Eltern zu finden. Wir bringen sie her, obwohl Sam sie auf keinen Fall sehen will, aber das erörtern wir später. Sie wissen, dass Sam die beste Freundin von Jemima Pegler war?»
Lol nickte. «Ich weiß von den E-Mails.»
«Wissen Sie auch über die Sache mit dem Freund Bescheid?»
Lol schüttelte den Kopf. Sandy nahm ihn beim Arm und führte ihn nach draußen. Im Innenhof parkte jetzt nahe bei dem Rundturm ein Polizeitransporter.
«Sam war Jemmie Peglers einzige Freundin. Aber dann hat Jemmie Sam den Freund weggenommen – Harry –, und das war’s mit der Mädchenfreundschaft. Sam sagt, Jemmie war bereit, mit ihm Sex zu haben, Sam aber nicht. Das hat Jemmie offenbar eine Art Machtgefühl vermittelt – kurzfristig, bis sie gehört hat, was die anderen Jungs sich erzählen. Jemmie war dick, wissen Sie, wie ich, und wenn man in der Schule ein Dickerchen ist, ist das Leben die Hölle, das Selbstwertgefühl ist im Keller, und man weiß mit absoluter Sicherheit, dass man niemals einen Freund finden wird, weil man so ekelhaft ist. Wenn mal irgendjemand dazu kommt, eine statistische Erhebung zu dem Thema zu machen, wird er sicher herausfinden, dass mindestens die Hälfte aller Teenager-Schwangerschaften dicke Mädchen betrifft. Wir wollen nicht dick und mütterlich sein, Martin, wir wollen schlank und verführerisch sein und auf Partys gehen, aber am Ende nehmen wir, was wir unserer Meinung nach kriegen können.»
«Sam und Jemmie hatten sich verkracht?»
«Sam mochte Jemmie schon nicht mehr, bevor sie ihr den Freund ausgespannt hatte, weil sie seit einiger Zeit aufs falsche Gleis geraten war. Ich glaube, in dem Stadium hat Sam Angst vor ihr bekommen. Wenn dicke Mädchen nicht mehr lustig und vergnügt sind, können sie sehr düster und bedrohlich wirken. Drogen helfen da nicht. Jemmie hat zu dem Zeitpunkt nichts Hartes genommen, aber sie hat sich langsam gesteigert. Und sie ist mit dummen kleinen Jungs mitgefahren, die Autos gestohlen haben – sehr verhängnisvoll. Sie ist Risiken eingegangen. Es war ihr egal, was mit ihr passiert – vielleicht hat sie einfach gehofft, dass überhaupt irgendwas mit ihr passiert.»
«Aber wenn sie dann einen Freund hatte …?»
«Oh, das hat nicht gehalten. Sie hat gedacht, mit Sams Freund hätte sie endlich was, das hält … Hey! Super! Ich bin eine richtige Frau! Und dann
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