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Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery

Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery

Titel: Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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hat dieser nette Harry sie ausrangiert wie ein altes Sofa. Jetzt war Jemmie also wirklich deprimiert, weil sie ihren Freund und ihre beste Freundin verloren hatte, die einzige echte Freundin, die sie gehabt hatte. Also hat sie verzweifelt versucht, sich mit Sam wieder zu versöhnen, und sie mit mitleiderregenden Bettel-E-Mails bombardiert. Sie waren auf verschiedenen Schulen, wissen Sie?»
    «War Jemmie manisch-depressiv?»
    «Das denkt Dr. Saltash jedenfalls. Und Sam … sie ist im Grunde ein sehr gutmütiges Mädchen. Sie ist ziemlich hübsch, aber nicht zu hübsch, hat vielleicht etwas wenig Selbstvertrauen – das ist jetzt meine Meinung, nachdem ich mit ihr geredet und ihr zugehört habe. Ich nehme mal an, dass Sam sich am Anfang vor allem aus Mitleid mit Jemmie angefreundet hat. Sam hat noch nicht das Selbstbewusstsein, ihren eigenen Weg zu gehen, sie fühlt sich zu den Außenseitern hingezogen – ist schließlich ein gutes Gefühl, gebraucht zu werden, nicht? Aber letzten Endes ist sie ein kleines Mädchen, keine Heilige, und sie konnte Jemmie die Sache mit dem Jungen nicht einfach so verzeihen – wenn sie es überhaupt konnte. Und ich glaube, dass sie sogar sehr froh war, Jemmie los zu sein. Allerdings hatte sie dann gleich den nächsten Außenseiter am Hacken.»
    Sandy Gee verschränkte die Arme und sah Lol an.
    «Raten Sie mal», sagte sie.
    Lol schüttelte den Kopf.
    «Robbie Walsh», sagte Sandy. «Wenn das keine Steigerung ist, oder?»
     
    In dem düsteren, verfallenen Henkersturm war das erste Fenster, das noch leicht erreichbar schien, vergittert.
    Jedenfalls teilweise. Die beiden quer eingesetzten Gitterstäbe reichten nicht ganz bis zum oberen Rand des Fensters, wodurch es jedem, der entschlossen genug war, möglich gewesen wäre, hochzuklettern und sich hindurchzuquetschen.
    Durch dieses Fenster konnte man den Fluss und die Kiefernwälder sehen, in denen sich wohl das Wehrhaus verbarg. Das Fenster lag im Erdgeschoss des Turms, aber auf der anderen Seite fiel man tief, bis auf den Weg am Fuß der Felsen.
    Hatte Jemmie Pegler es so gemacht?
    Darüber – ein Stockwerk höher, wenn es noch Böden und Decken gegeben hätte – befand sich ein weiteres Fenster, das zweite von vieren. Ein Fenster, das ohne das Gerüst nicht zu erreichen gewesen wäre.
    «Sie wollten den Turm sicher machen», murmelte Sandy. «Wenn das keine Ironie ist.»
    Das Metallskelett reichte bis ungefähr einen Meter unter das Fenster.
    Das Mädchen kauerte wie ein Eichhörnchen in der tiefen Nische des zweiten Fensters, ungefähr fünf Meter über dem Boden des Turminneren. Ein junges Mädchen im rosa Kapuzenpulli und Jeans, mit kurzen braunen Haaren und einem schimmernden Ring in einer Augenbraue. Praktisch direkt hinter ihr war die Fensteröffnung, ungefähr anderthalb Meter hoch und einen knappen Meter breit, und alles, was man hinter dem Mädchen sehen konnte, war der langsam dunkler werdende Himmel.
    «Möchtest du noch einen Kaffee, Sam?», rief Sandy hoch.
    Sam antwortete nicht.
    «Oder eine heiße Schokolade? Dir muss da oben doch kalt sein.»
    «Nein danke», sagte Sam. Sie hielten sie für vierzehn oder fünfzehn, aber sie klang jünger.
    «Sie muss inzwischen bestimmt mal aufs Klo», flüsterte Sandy Lol zu. Dann rief sie wieder: «Sam, wenn du mal aufs Klo musst, können wir bestimmt was organisieren.»
    «Nein danke.»
    Lol sagte zaghaft: «Ich bin … Martin.»
    Sam reagierte nicht. Lol wünschte, Steve Britton würde zurückkommen, mit Merrily.
    Sandy flüsterte ihm ins Ohr: «Versuchen Sie’s nochmal.»
    Lol sagte: «Wegen Robbie … das war wirklich nicht deine Schuld. Ich kann auch erklären, warum. Darf ich?»
    Stille. Sandy Gee sah Lol an und zeigte ihm mit beiden Händen gekreuzte Finger. Oben im Turm flatterte ein Vogel.
    «Ihr erzählt mir doch sowieso immer bloß Lügen.» Diese kleine, verlorene Stimme.
    «Wir wollen dich hier nicht reinlegen, Sam. Er weiß Sachen, die ich nicht wusste.»
    Bevor sie hereingekommen waren, hatte sie Lol erzählt, was Sam zuvor gesagt hatte, als sie noch gesprächiger gewesen war. Offenbar war Sams Mutter vor Weihnachten für eine Woche nach Ludlow gekommen, um sich um Sams Tante Kate zu kümmern, die sich ein Bein gebrochen hatte; und Sam hatte sie mitgenommen, weil Sam gerade die Sache mit Jemmie und Harry herausgefunden hatte und es ihr ziemlich schlechtging.
    Zuerst hatte sich Sam in Ludlow grässlich gelangweilt. Sie kannte niemanden und hatte nichts zu tun.

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