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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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Schönheit. Er kniete neben mir
und kam mit dem Mund so nah an mein Ohr, daß seine weichen
Lippen meine Haut berührten. Sein Atem war warm wie das
Lächeln der Göttin. Er murmelte süße Worte des
Trostes, die dahinplätscherten wie ein
Gebirgsbach. 
    Unsichtbare Hände
zupften eine unsichtbare Lyra, während ein unsichtbarer Chor
das schönste Lied sang, das ich je gehört hatte - Strophe
für Strophe von Liebe und Lobpreis, alles zu meinen Ehren.
Irgendwann irrte ein wilder Riese mit einem Messer durch den Raum,
die Augen mit Blut verklebt, das aus einer Wunde an seinem Kopf
sickerte; aber sonst geschah nichts, was die absolute Perfektion
dieses Traumes hätte verderben können.
    Ein Hahn krähte.
Ich schreckte zusammen und fuhr hoch, weil ich glaubte, zurück
in meinem Haus auf dem Esquilin zu sein, wo ich vermeintlich Fremde
im Grau der Dämmerung herumtappen hörte. Aber es waren
nur Ciceros Sklaven, die sich auf den kommenden Tag vorbereiteten.
Neben mir schlief Bethesda wie ein Stein, ihr schwarzes Haar wie
feine Zweige auf dem Kopfkissen ausgebreitet. Ich legte mich wieder
neben sie, fest überzeugt, unmöglich wieder einschlafen
zu können.
    *
    Bevor ich die Augen
geschlossen hatte, war ich schon fast wieder
bewußtlos.
    Um mich herum dehnte
sich der Schlaf in alle Richtungen aus - formlos, traumlos, bar
jeden Marksteins.
    So ein Schlaf ist wie
die Ewigkeit; nichts, was den Fortgang der Zeit mißt, nichts,
um das Ausmaß des Raumes zu bezeichnen, ein Augenblick ist
wie Äonen, ein Atom so groß wie das ganze Universum. Die
ganze Vielfalt des Lebens, Lust und Schmerz gleichermaßen,
verschmilzt in eine Ureinheit, die selbst das Nichts in sich
aufnimmt. Fühlt sich auch der Tod so an?
    Und dann wachte ich
plötzlich auf.
    Bethesda saß in
einer Ecke des Zimmers und flickte den Saum der Tunika, die ich am
Vorabend getragen hatte. Irgendwann, vielleicht als ich gesprungen
war, hatte ich ihn aufgerissen. Neben Bethesda lag ein halbes
Stück Brot mit Honig.
    »Wie
spät?« fragte ich.
    »Ungefähr
Mittag.«
    Ich rekelte mich.
Meine Arme waren steif und schmerzten. Ich bemerkte einen
großen violetten Bluterguß auf meiner rechten
Schulter.
    Ich stand auf. Meine
Beine taten genauso weh wie meine Arme. Vom Atrium hörte ich
Bienen summen und Cicero deklamieren.
    »Fertig«,
verkündete Bethesda. Sie hielt meine Tunika hoch und sah sehr
zufrieden aus. » Ich habe sie heute morgen gewaschen. Ciceros
Wäscherin hat mir eine neue Methode gezeigt. Sogar die
Grasflecken sind rausgegangen. Die Luft ist so warm, daß sie
schon wieder trocken ist.« Sie stellte sich hinter mich und
hielt die Tunika über meinen Kopf, damit ich
hineinschlüpfen konnte. Ich hob die Arme und
stöhnte.
    »Essen,
Herr?«
    Ich nickte. »Ich
werde es im Peristylium im hinteren Teil des Hauses zu mir
nehmen«, sagte ich. »So weit wie möglich entfernt
von den Rhetorikübungen unseres
Gastgebers.«      
    Bethesda hielt sich in
meiner Nähe, bot mir an, dieses oder jenes zu holen, und las
mir jeden meiner Wünsche von den Augen ab - eine Schriftrolle,
etwas zu trinken, einen breitkrempigen Hut. Als sie mir einen
Becher kaltes Wasser brachte, legte ich die Schriftrolle zur Seite,
in der ich gelesen hatte, sah ihr in die Augen und strich mit den
Fingern über ihre Hand. Sie zog ihre Hand zurück, als der
alte Tiro direkt vor meinen Augen quer über den Hof ging, ohne
sich an die Anstandsregeln zu halten, die Sklaven vorschrieb, sich
still und unauffällig unter dem Säulengang zu bewegen. Er
ging kopfschüttelnd und vor sich hin murmelnd vorbei und
verschwand im Haus.
    Kurz nach dem alten
Freigelassenen tauchte sein Enkel auf. Tiro kam quer über den
Hof gewankt, er stütze sich auf eine Holzkrücke und hielt
den fest verbundenen Knöchel in die Höhe. Er
lächelte dümmlich, stolz auf seine Behinderung wie ein
Soldat auf seine erste Verwundung. Bethesda holte einen Stuhl und
half ihm, Platz zu nehmen.
    »Die ersten
Narben und Wunden der Männlichkeit sind wie Abzeichen der
Reife«, sagte ich. »Aber mit der Wiederholung werden
sie mühsam und dann deprimierend. Die Jugend verschenkt stolz
ihre Beweglichkeit, Kraft und Schönheit wie Opfer auf dem
Altar des Erwachsenwerdens und bereut erst viel
später.«
    Der Denkspruch
ließ ihn offenbar kalt. Tiro runzelte, noch immer
lächelnd, die Stirn und musterte in dem Glauben, ich
würde Epigramme zitieren, die Schriftrolle, die ich zur Seite
gelegt hatte. »Wer hat das gesagt?«
    »Jemand,

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