Das Lächeln des Cicero
weiß
nur, daß Cicero ihnen befohlen hat, wenn nötig Gewalt
anzuwenden. Ich glaube nicht, daß sie dich tatsächlich
schlagen würden...«
Ich spürte, wie
mein Gesicht und meine Ohren so rot wurden wie Tiros. Ich warf
einen Seitenblick zu Bethesda und sah, daß sie verstohlen
lächelte und recht erleichtert aussah. Tiro atmete tief ein
und machte ein paar Schritte zurück, als hätte er mit
seiner Krücke eine Linie in den Sand gezogen, hinter die er
zurück mußte.
»Du mußt
das verstehen, Gordianus. Das ist jetzt Ciceros Fall. Es war immer
sein Fall. Du hast dich in seinen Diensten in Gefahr begeben, und
dafür bietet er dir seinen Schutz. Er hat dich beauftragt, die
Wahrheit herauszufinden, und das hast du getan. Jetzt muß
diese Wahrheit vom Gesetz beurteilt werden. Das ist Ciceros Gebiet.
Die Verteidigung von Sextus Roscius ist das wichtigste Ereignis in
seinem Leben. Er glaubt ernsthaft, daß du jetzt eher eine
Gefahr als eine Hilfe für ihn bist. Du darfst dich ihm nicht
widersetzen. Du darfst ihn nicht auf die Probe stellen. Tu einfach,
was er verlangt. Verlaß dich auf ihn.«
Tiro wandte sich zum
Gehen, ohne mir Zeit für eine Antwort zu lassen, wobei er
seine Unbeholfenheit mit der Krücke zum Vorwand nahm, sich
weder umzudrehen noch eine Abschiedsgeste zu machen. Eine Zeitlang
war der Hof noch von seiner Gegenwart erfüllt: eloquent,
loyal, beharrlich und selbstbewußt - in jeder Beziehung der
Sklave seines Herrn.
Ich nahm erneut die
Chronik von Polybius zur Hand, in der ich gelesen hatte, aber die
Worte schienen zu verschwimmen und vom Pergament zu rutschen. Ich
hob meinen Blick und ließ ihn in den Schatten des
Säulengangs wandern. Bethesda saß mit geschlossenen
Augen da und genoß wie eine Katze das warme Sonnenlicht. Sie
schien förmlich zu schnurren. Ich rief ihren Namen.
»Bring diese
Schriftrolle zurück«, sagte ich. »Sie langweilt
mich. Geh ins Arbeitszimmer. Bitte unseren Gastgeber um Verzeihung
für die Störung, und frage Tiro, ob er etwas von Plautus
für mich finden kann oder vielleicht eine dekadente
griechische Komödie.«
Bethesda ging los und
murmelte den unvertrauten Namen vor sich hin, damit sie ihn nicht
vergaß. Sie hielt die Rolle in jener eigentümlichen Art,
in der alle Analphabeten Schriftstücke tragen - vorsichtig,
weil sie wissen, daß sie wertvoll sind, aber auch nicht zu
behutsam, in der Gewißheit, daß sie nicht zerbrechen
können, und ohne jede Zuneigung, ja sogar mit einem gewissen
Abscheu. Als sie im Haus verschwunden war, drehte ich mich um und
ließ meinen Blick über den Säulengang wandern.
Niemand war in der Nähe. Die Hitze des Tages hatte ihren
Höhepunkt erreicht. Alle ruhten oder hatten zumindest in den
kühlen Innenräumen des Hauses Zuflucht
gesucht.
Das Dach des Portikus
zu besteigen war leichter, als ich gedacht hatte. Ich kletterte an
einer der schlanken Säulen hoch, packte das Dach und hangelte
mich hoch. Die Höhe schien für einen Mann, der am Abend
zuvor praktisch geflogen war, nicht weiter nennenswert. Dem
Wächter auszuweichen, der am entfernten Ende des Daches
lauerte, war ein weit größeres Problem, zumindest
glaubte ich das, bis sich ein rissiger Dachziegel unter meinem
Fuß löste und einen Sprühregen kleiner Steinchen
auf den gepflasterten Hof fallen ließ. Der Wächter
rührte sich nicht vom Fleck, er stand, mir den Rücken
zugewandt, auf seinen Speer gestützt und döste.
Vielleicht hörte er mich, als ich in die Gasse hinabsprang und
einen Tontopf umstieß, aber da war es schon zu spät.
Diesmal verfolgte mich niemand.
28
Cicero hatte recht; mein Part bei
der Untersuchung der Ermordung von Sextus Roscius war erledigt.
Aber bis der Prozeß vorüber war, konnte ich mich
unmöglich anderen Aufträgen zuwenden oder auch nur sicher
in mein Haus zurückkehren. Cicero war es nicht gewohnt, selbst
Feinde zu haben (was sich bei seinem Ehrgeiz nur zu bald
ändern würde!), und er nahm an, mich verstecken zu
können, bis alles geklärt war. Aber in Rom ist der vor
einem liegende Weg stets von Feinden gesäumt. Welchen Sinn hat
es, sich im Haus eines anderen zu verkriechen, hinter dem Speer
seines Wächters? Der einzig wahre Schutz gegen den Tod ist
Fortuna; vielleicht stimmte es ja, daß Sulla überall von
ihrer schützenden Hand begleitet wurde - wie ließe sich
seine Langlebigkeit sonst erklären, wo doch so viele andere um
ihn herum, mit weit weniger Schuld belastet und ungleich
tugendhafter, schon lange
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