Das Lächeln des Killers
Kinn gedrückt bekam.
»Das tue ich gewohnheitsmäßig.« In Dr. Miras blauen Augen funkelte ein leichtes Lächeln, als sie Eves verwirrte Miene sah. »Es fördert den Heilungsprozess, wenn man eine Verletzung küsst. Wollen wir uns vielleicht setzen?«
»Ja, klar.« Eve war sich nie ganz sicher, wie sie reagieren sollte, wenn Dr. Mira sie bemutterte. Mütter waren für sie wie ein Puzzle, bei dem zu viele Teile fehlten, als dass sich je ein vollständiges Bild ergab. »Bestimmt möchten Sie einen Tee.«
»Sehr gern.«
Da sie Dr. Miras Gewohnheiten kannte, bestellte sie ihr eine Tasse stark duftenden Kräutertee, und genehmigte sich selbst, da sie sich auf ihrem eigenen Territorium befand, eine zweite Tasse Kaffee.
»Wie geht es Ihnen, Eve?«
»Ich bin okay.«
»Sie bekommen nach wie vor nicht genügend Schlaf«, stellte die Psychologin, als Eve ihr ihre Tasse brachte, fest.
»Ich komme zurecht.«
»Mit jeder Menge Koffein und aus reiner Willenskraft, nehme ich an. Wie geht es Roarke?«
»Er ist...« Eigentlich hatte sie eine nichts sagende Antwort geben wollen, da es jedoch Dr. Mira war, die ihr hier gegenübersaß, führte sie wahrheitsgemäß aus: »Das, was mit Mick Connelly passiert ist, macht ihm noch sehr zu schaffen. Er verdaut es irgendwie, aber es ist, ich weiß nicht, wie ich sagen soll... Es hat ihn ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht.«
»So geht es uns allen, wenn wir trauern. Wir machen mit unserem Leben weiter, tun, was nötig ist, haben aber gleichzeitig den Eindruck, dass ein dunkler Schatten auf unserem Herzen liegt. Wobei das Wissen, dass Sie für ihn da sind, diesen Schatten etwas heller für ihn macht.«
»Er mischt sich wieder mal in meine Arbeit ein, aber ich habe ihm deshalb keine Vorhaltungen gemacht wie sonst.«
»Sie beide sind in vielerlei Hinsicht ein wirklich gutes Team.« Dr. Mira kostete den Tee und nickte anerkennend. »Ich nehme an, es macht ihm Sorgen, dass Sie in einem Fall wie diesem Ermittlungsleiterin geworden sind.«
»Sexualmorde habe ich bereits des Öfteren gehabt und werde sie vermutlich immer wieder haben. Das ist schon okay.«
»Ja, das stimmt wohl. Und Ihren Berichten und Ihrem lauten Nachdenken zufolge haben Sie bereits selbst ein Täterprofil erstellt.« Dr. Mira zog eine Diskette aus der Tasche und drückte sie Eve in die Hand. »Und hier kriegen Sie auch meins.«
Eve sah sie fragend an. »Eins?«
Dr. Mira lehnte sich zurück und nippte erneut an ihrem Tee. »Zwei. Ob es zwei verschiedene Individuen oder zwei verschiedene Persönlichkeiten sind, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Selbst wenn das multiple Persönlichkeitssyndrom, außer in Romanen, nur sehr selten vorkommt, ist es doch existent.«
»Ich glaube nicht, dass es das ist. Ich habe gestern Abend darüber gelesen«, erklärte sie, als sie Dr. Miras überraschte Miene sah. »Wir haben es zweimal mit derselben Methode, demselben grundlegenden Motiv, dem gleichen Szenarium zu tun. Der Stil des Täters und der Typ des Opfers aber waren in beiden Fällen grundverschieden. Beim ersten Opfer hat er seine DNA und jede Menge Fingerabdrücke hinterlassen, beim zweiten hingegen ein Kondom oder ein Spermizid benutzt und sich die Hände sorgfältig versiegelt. Bei MPS müssten die Unterschiede augenfälliger sein. Eine Persönlichkeit, die jagt, eine andere, die tötet. Eine, die jagt und tötet, eine andere, die normal funktioniert. Diese beiden Typen – es sind ganz sicher zwei – arbeiten zusammen und wechseln sich bei ihren Taten ab.«
»Das sehe ich ganz ähnlich, nur, dass MPS noch nicht zur Gänze ausgeschlossen werden kann.« Dr. Mira schlug die Beine übereinander und lehnte sich während des Gesprächs über Mord und Wahnsinn bequem auf ihrem Stuhl zurück. »Der erste Mord scheint ein Unfall oder zumindest nicht bewusst geplant gewesen zu sein. Möglicherweise aber haben die Erregung und die gleichzeitige Angst angesichts der ersten toten Frau erst das Verlangen nach Gewaltanwendung und der vorsätzlichen Tötung im Fall des zweiten Opfers ausgelöst. Vielleicht wird wirklich abgewechselt, vielleicht ist es für ihn oder für sie tatsächlich nichts weiter als ein krankes Spiel. Es geht um die Beherrschung und Erniedrigung der Frauen, allerdings auf eine aus Sicht des Täters oder der Täter stilvolle, charmante Art. Mit Romantik, durch Verführung. Beim Geschlechtsakt selbst geht es ihm oder ihnen ausschließlich um sich selbst. Da die Opfer unter dem Drogeneinfluss nicht nur
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