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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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großer Leichtigkeit durch die Wellen zu bewegen. Man könnte sogar meinen, seine Haut würde durch
     den jodhaltigen Kuss der wohltuenden Fluten weicher. Luc taucht mit der Begeisterung eines Tümmlers und kann phänomenal lang
     die Luft anhalten. Wollte er ohne Sauerstoffgerät am Tauchturnier teilnehmen, das jeden Juli an der Flussmündung veranstaltet
     wird, könnte ihn keiner besiegen, vor allem ich nicht: Schließlich bin ich über das Zeitstoppen in der Badewanne noch immer
     nicht hinausgekommen.
    Der Ozean fließt durch Lucs Adern, und wenn er stehen bleibt, um ihn zu betrachten, scheint er in sich hineinzuschauen.Verzaubert hockt er am Ufer und vergisst alles um sich herum. Aus seiner Kehle steigen dann helle, glucksende Laute, Schnalzgeräusche
     und so etwas wie das Bellen einer Robbe. Wenn er sich auf diese Weise mit den Wellen unterhält, sollte man nicht versuchen,
     ihn anzusprechen; er weiß dann nicht einmal mehr, dass man existiert. Als würde er ganz für sich allein eine primitive, elementare
     Messe abhalten.
    Er interessiert sich für alles, was mit dem Leben im und am Golf zu tun hat. Dank der Bücher, die er liest, vermag er zwischen
     den verschiedenen Fisch- und Vogelarten genauso zu unterscheiden wie zwischen den diversen Algen und Weichtieren. Er übt sich
     sogar in ihrer Klassifizierung. Die Komplexität des Baumes der Arten schreckt ihn nicht; als gelehrter Affe hangelt er sich
     beherzt durch das Geäst dieser Mangrove aus biologischen Rangstufen, Unterordnungen und Gattungen. Er braucht so gut wie nie
     im Fachbuch über die Fauna der Küste nachzusehen, das er im Schulranzen immer dabeihat. Nicht selten fordert er mich auf,
     das Buch an irgendeiner Stelle aufzuschlagen und die eine oder andere Familie von Krustentieren oder Seeigeln auszuwählen,
     die er mit Vorliebe bis in ihre Subspezies herunterbetet, wobei er dieses Kauderwelsch im Rhythmus unserer Schritte, als eine
     Art Rap skandiert:
Mesodesma arctatum – siliqua – costata – ascophyllum nodosum – strongylo droebachiensis   …
     
    *
     
    Ich habe es ausgenutzt, dass sie aufs Meer hinausgefahren waren, um mich zu ihrer Behausung zu schleichen. Ich weiß sehr wohl,
     dass ihre Bruchbude verbotenes Terrain ist, aber dieser unheilvolle Ort machte mich einfach neugierig, und da die Tür nicht
     verschlossen war   …
    Die Trostlosigkeit der Unterkunft traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Der Wohnwagen wirkte heruntergekommen, überall lag
     Sand, aus dem Radio ertönte Countrymusik. Auf dem Büfett türmte sich das Geschirr. Die Möbel waren nicht nur mit leeren Flaschen
     und überquellenden Aschenbechern, sondern auch mit allerlei Angelgerät übersät. Im Wohnzimmer standen zwei kaputte Sessel,
     ein alter, monströser spanischer Fernseher, ein mittelalterliches Tonbandgerät sowie, überall verstreut, diverse Teile eines
     halb zerlegten Außenbordmotors. Das Bad war eine einzige Kloake; allein der Gestank wäre Großmutters Ende. Im Vergleich dazu
     wirkte Lucs Zimmer eher aufgeräumt. An den Wänden hingen lauter Poster mit Fischen und Fotos von Cousteau. Die Höhle seines
     Vaters dagegen war voller Brüste und prähistorischer Düfte. Ich trat ans Wohnzimmerfenster und richtete meinen Feldstecher
     in die Ferne, um mich zu vergewissern, dass sie nach wie vor draußen auf dem Meer fischten. Sie waren tatsächlich noch immer
     dort, deutlich im Objektiv zu erkennen, winzige Milben, die auf einer Schlumpfhaut hin und her schaukelten. Während ich sie
     beobachtete, sah ich plötzlich etwas funkeln. Mir kam der Gedanke, dass sie womöglich ebenfalls einFernglas hatten und mich sehen konnten, worauf ich mich eilig davonstahl.
    Luc sorgt dafür, dass ich seinem Vater nicht begegne, was mir nur recht ist. Ich stelle ihn mir als Bestie mit langem Schwanz
     vor, und alles, was ich über ihn höre, bestärkt mich nur in dieser Vorstellung von einem Drachen. Wenn Luc über seinen Vater
     spricht, nennt er ihn den »Schweinehund«, und man kann sich nur zu gut vorstellen, dass er auf dessen Gene gern verzichten
     würde. Soweit ich weiß, schlägt der Schweinehund seine Zeit in den Kneipen von Villeneuve tot. Seine Worte sind hart, seine
     Handflächen auch, und seine Gesten grob. Luc muss schuften wie ein Sklave, was er ohne Widerrede tut, schließlich braucht
     man etwas zu beißen und im Januar ein Dach über dem Kopf. Der Schweinehund verprügelt ihn regelmäßig, und zwar nicht mit Samthandschuhen.
     Alarmiert

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