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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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durch die Lehrerin, sind Beamte von der Fürsorge in die Schule gekommen und haben Luc ausgefragt, ohne etwas Negatives
     über den Schweinehund zu erfahren, denn er weigert sich partout auszusagen. Er hat mir den Grund dafür genannt, allerdings
     weiß ich nicht, ob ich ihn richtig verstanden habe: Er wisse zwar, dass er, wenn er sich bereit erklärte zu reden, seinen
     Peiniger hinter Gitter bringen könne, aber genau das wolle er vermeiden. Er befürchte, dass man ihn dann abhole und in eine
     Pflegefamilie in Villeneuve stecke. Die Aussicht auf ein solches Exil sei für ihn bedrohlich, denn er brauche das Meer zum
     Leben. Er sei sicher, dass er ohne das Meernicht leben könne, dass sein Los dasjenige einer Krabbe inmitten der Sahara sein würde. Darum halte er durch. Er wolle warten,
     bis er alt genug sei, um seine Rechnung mit dem Schweinehund zu begleichen. Schließlich sei er daran gewöhnt. Er habe schon
     so manches wegstecken müssen; die Schläge und Beschimpfungen seien ihm vertraut. Unerträglich sei für ihn nur, dass der Schweinehund
     selbst vor der Erinnerung an die, die geflohen ist, nicht haltmacht. Und das sei dem Schuft bewusst. Das nutze er aus. Das
     mache der Schweinehund mit Absicht   …
     
    *
     
    Luc kennt ein paar Taucher, echte Froschmänner. Sie arbeiten im Hafen von Villeneuve, wohnen aber lieber in einem gemieteten
     Haus in Ferland. Sie sind zu dritt: Joël, Marc und Luigi, kräftige, bärtige Burschen mit einer heroischen Aura. Luc findet,
     sie hätten den schönsten Beruf der Welt. Er kauft für sie im Laden an der Ecke ein, dafür darf er die Abende mit ihnen verbringen
     und ihnen zuhören, wenn sie über die Schönheiten und Gefahren der Tiefe reden, über das zutrauliche Verhalten der kleinen
     Tümmler oder die Angst, für einen Barsch gehalten und von einem Schwertwal verschlungen zu werden. Wenn sie samstags ihre
     Taucherausrüstung warten, bestürmt Luc sie mit Fragen, weil er unbedingt wissen will, wie alles funktioniert. Er würde alles
     geben, einen kleinen Probetauchgang zu unternehmen, was sie jedoch aus rechtlichenGründen nicht erlauben dürfen. Luc jedoch will sich nicht von solchem Unsinn bremsen lassen und hat beschlossen, sich seine
     eigene Taucherausrüstung zu beschaffen. Deshalb spart er den ganzen Erlös aus den gesammelten Flaschen. Das Problem ist, dass
     es bei dem, was Taucheranzüge heute kosten, eine Ewigkeit dauern wird, bis er das Geld dafür zusammenhat, und Luc fragt sich
     manchmal, ob es nicht einfacher wäre, wie die Fische im Wasser atmen zu lernen. Er will wissen, was ich davon halte, und meint
     es auch noch ernst. Warum nicht, beteuert er, schließlich stamme der Homo sapiens doch vom großen Urtritonen ab. Und was sei
     die Lunge aus Darwin’scher Sicht anderes als eine Weiterentwicklung der Kiemen? Er lässt nicht locker, möchte unbedingt meine
     Meinung hören, doch ich hüte mich, solchen Unsinn auch noch zu unterstützen. Er gibt auf, wechselt schließlich das Thema und
     füllt seinen Reifen immer weiter, in Erwartung des gesegneten Tages, an dem er sich endlich den Traum vom eigenen Taucheranzug
     erfüllen kann. Bis er reich genug ist, um mit den Walen mithalten zu können, begnügt er sich damit, sie zu bewundern. Wie
     sehr er sie beneidet, wenn sie in erhabenen Herden auf dem offenen Meer vorüberziehen! Wenn sie dichter herankommen, um nach
     Krill zu jagen oder sich in Ufernähe zu tummeln, schwimmt er ihnen entgegen und lässt sich in die schillernde Tiefe hinabgleiten,
     um ihnen dabei zuzusehen, wie sie, so riesig und zugleich so leicht, dahinschweben und mit dem Rücken die glatte, aluminiumartigeOberfläche kräuseln. Er kann sich an ihrem Gesang, ihren Schnalzlauten nicht satthören. Er liebt es, ihrem Geplauder zu lauschen.
     Er wüsste zu gern, worüber sich diese ewigen Nomaden unterhalten, und das frage ich mich auch: Worüber mögen sie sich wohl
     in ihrem grandiosen Morsealphabet austauschen?
     
    *
     
    Der Ozean hat seine Sinne geschärft. Aus den Schaumkronen der Wellen, dem Duft der Brise, dem Verhalten der Seeschwalben und
     etlichen anderen Anzeichen schließt Luc auf das bevorstehende Wetter. Es ist eine Gabe, die er der Weite und den violetten
     Horizonten verdankt, das Ergebnis all der Nächte, die er im Freien in einem alten, löchrigen Schlafsack verbringt. Denn er
     liebt das Meer dermaßen, dass er sogar in seiner Nähe schläft. Ist das verwunderlich? Sieht es ihm nicht ähnlich, dass er
    

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