Das Lächeln des Leguans
jede Annäherung
erschwert. Eigentlich müsste Luc das Thema zur Sprache bringen, doch nichts deutet darauf hin, dass er dergleichen vorhat,ganz im Gegenteil. Er möchte nicht über das Verschwinden seiner Mutter reden. Lieber diskutiert er über Mittel und Wege, wie
sich meine aufwecken ließe, und auf diese etwaige Wiederauferstehung richtet er zunehmend seine Energie. Freud lässt grüßen:
Luc überträgt auf meine Mama die ganze Zuwendung, die er seiner eigenen nie hat entgegenbringen können.
Er hat eine medizinische Enzyklopädie aufgetrieben, in der er immer wieder nachschlägt und alles liest, was mit Koma, Katalepsie
und Tsetsefliegen zu tun hat. Er macht sich mit der Krankheit vertraut. Wir besuchen Mama fast täglich, und Luc denkt nach,
brütet. Er studiert die verschiedenen medizinischen Methoden und lehnt sie größtenteils ab. Er ist denen gegenüber, die dafür
bezahlt werden, Mama zu heilen, äußerst kritisch und zweifelt sogar an ihrer Kompetenz. Er meint, die Quacksalber würden nichts
bewirken. Man müsse die Dinge selbst in die Hand nehmen. Da seine Gebete wirkungslos bleiben, denkt er sich andere Therapieformen
aus, wie etwa Mama aus ihrem Bett zu holen und zum Gehen zu zwingen. Er lässt sich von meinen Einwänden keineswegs beirren,
sondern befasst sich vielmehr mit dem Problem der Erwärmung meiner Mutter und schlägt vor, Mama in eine Heizdecke einzuwickeln
und die Heizung in ihrem Zimmer voll aufzudrehen. Seine Ideen sind alle gleichermaßen schräg, aber ich nehme ihm das ganze
verrückte Zeug schon allein deswegen nicht übel, weil ich weiß, dass er es nur gut mit ihr meint.
Die Heizung aufdrehen. Warum sie nicht gleich bei vierhundertfünfzig Grad in den Ofen schieben? Und wie wär’s mit einem kleinen
Elektroschock?
*
Heute Morgen hat mich Großmutter bei der Rückkehr von der Messe ziemlich überrascht, als sie verkündete, dass sie vorhabe,
Luc zum Abendessen einzuladen. »Der arme Junge bekommt bestimmt nur selten eine anständige Mahlzeit. Es wird ihm guttun, etwas
Ordentliches zu essen«, sagte sie, wie um sich zu entschuldigen, als müsse sie ihren plötzlichen Sinneswandel rechtfertigen.
Der sonntägliche Anblick von Lucs Magerkeit wird sie am Ende doch noch gerührt haben. Jedenfalls bat sie mich, ihm die Einladung
auszurichten. Ich rechnete damit, dass Luc sie ausschlagen würde. Ich war sicher, dass seine angeborene Schüchternheit schwerer
wiegen würde als alle Bedürfnisse seines Magens, doch sollte jener Tag noch weitere Überraschungen bereithalten: Er willigte
auf der Stelle ein. Er versprach, um sechs Uhr hier zu sein. Erst später wurde mir klar, wie leicht das Ganze aus dem Ruder
laufen konnte. Ich kenne Großmutter; sie würde die Gelegenheit nutzen, um Luc bis in jeden Winkel auszuleuchten, und ich kann
mir kaum vorstellen, wie sich verhindern ließe, dass seine schräge Art, die sein eigentliches Wesen ausmacht, an irgendeinem
Punkt zutage tritt. Aber für einen Rückzieher ist es jetzt zu spät; komme, was wolle. Ich beruhige mich mitdem Gedanken, dass Luc in Sachen guter Ruf ohnehin nicht viel zu verlieren hat.
*
Er kam pünktlich, beinahe auf die Sekunde. Er präsentierte sich in seinem Sonntagsstaat, inklusive Socken und gelbem Hemd,
das vermutlich sein edelstes Kleidungsstück ist. Großmutter wiederum hatte sich beim Essen alle Mühe gegeben: Das Menü bestand
aus einer Kammmuschelsuppe, Steinbutt mit Oliven und einem gewaltigen Biskuitkuchen. Eine ganze Footballmannschaft wäre davon
satt geworden, und ich hatte Angst, Luc könnte angesichts dieses Überflusses in Panik geraten, aber zum Glück hatte er begriffen,
wie wichtig es war, sich zivilisiert zu benehmen. Er meisterte die Situation bravourös, aß in aller Ruhe seinen Teller leer,
nahm sich gern ein zweites, drittes Mal nach und besiegelte das Ganze mit dem halben Kuchen. Großmutter war geschmeichelt,
Großvater voller Bewunderung und ich einen Teil meiner Befürchtungen los. Nach dem Kaffee wechselte Großmutter in ihren Plauderton.
Als sie sich nach Lucs schulischen Leistungen erkundigte, vernahm sie mit Freuden, dass er zu den Klassenbesten gehörte. Beruhigt
ob der intellektuellen Fähigkeiten meines Freundes, fragte sie ihn nach seinen Zukunftsplänen. Luc verkündete, er wolle Meeresbiologe
werden. Meine Großeltern waren sich einig, das sei ein ehrenwerter und im weitesten Sinne sogar nützlicher Beruf. Von
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