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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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würde die Nacht selbst sich herabneigen, um sich nichts
     entgehen zu lassen und beim aberwitzigen Gebrüll des verfluchten Holzfällers zu erschauern. Nach dem schrecklichen Endevon Jos Chibougamau saßen wir schweigend da. Dann beknieten wir Großvater und bettelten um eine weitere Geschichte, worauf
     er sich jedoch wegen der vorgerückten Stunde nicht einließ. Nachdem wir wie übergroße Feuerwehrmänner ins Feuer uriniert hatten,
     gingen wir schlafen.
    In meinem Zimmer stand noch ein zweites Bett, das Großmutter frisch bezogen hatte. Wir waren zu aufgedreht, um zu schlafen,
     aber das war zu erwarten gewesen; außerdem hatte ich Luc nicht zuletzt deshalb eingeladen, damit er mir half, den Schlaf auszutricksen.
     Ihn faszinierten die vielfältigen Möglichkeiten des Zähneklapperns; er trug sich bereits mit dem Gedanken, den Walen später
     einmal Morseunterricht zu geben. Dann unterhielten wir uns über meine Mutter und darüber, wie man sie aufwecken könnte. Luc
     hatte vor, ihr einen therapeutischen Schock zu versetzen: Weil er den Zug durch den Zug zu bezwingen gedachte, schlug er vor,
     ihr mit voller Lautstärke das Hupen einer Lokomotive vorzuspielen, räumte dann jedoch ein, dass die Idee wohl eher grotesk
     sei. Über dergleichen Dinge zu reden, machte mich traurig, und beim Gedanken an Mama kamen mir die Tränen. Als er sah, dass
     ich bei Ebbe gestrandet war, versuchte Luc, mich wieder flottzumachen, wobei er mir untersagte, mich in den nächsten zehn
     Sekunden selbst zu zerstören, und mich an meine Pflicht gemahnte, nicht unterzugehen. Er ließ nicht locker, es müsse doch
     eine Methode geben, um Mama wieder ins Lebenzurückzurufen, und forderte mich auf, ihm von meinen Träumen zu erzählen. Eine nebulöse Bitte; ich begriff nicht, was das
     mit Mama zu tun hatte, aber er beteuerte, in den meisten Fällen würde ihm die Lösung eines Problems im Traum kommen. Der Schlüssel
     zu Mamas Erwachen sei möglicherweise in meinen Träumen zu finden, die er gemeinsam mit mir analysieren wolle. Der Nebel lichtete
     sich ein wenig, doch was konnte ich schon über meine Träume sagen, wo ich ihnen doch seit Monaten zu entrinnen versuchte?
     Ich erzählte ihm von meiner freiwilligen Schlaflosigkeit und den Ängsten, aus denen sie erwuchs. Zum ersten Mal schilderte
     ich in knappen Worten den Kilometer 54 und die damit verbundenen labyrinthischen Qualen, das schreckliche Stampfen des Minotaurus,
     dieses Ungetüms aus Eisen. Es tat mir gut, darüber zu sprechen und vor allem zu sehen, dass Luc Interesse zeigte. Er sah in
     meiner Weigerung zu schlafen die Bestätigung seiner Theorie, ja sogar die Erklärung für die nicht enden wollende Ohnmacht
     meiner Mutter. Das schien mir an den Haaren herbeigezogen, doch für ihn war alles sonnenklar. Er bestürmte mich weiter mit
     dieser Traumgeschichte und drängte mich, endlich damit aufzuhören, den Schlaf zu bekämpfen. Er wollte unbedingt, dass ich
     schlafe, vor allem aber träume und dabei auf alles achte, was mit der Wiederauferstehung meiner Mutter in Zusammenhang stehen
     könnte. Und dann ging er mit gutem Beispiel voran, nickte ein und überließ mich meinen Ängsten.
    Da sitze ich nun, schreibe im Schein meiner Taschenlampe und erlebe eine weitere fahle Fledermausnacht. Ich habe versucht,
     Lucs Rat zu befolgen, aber die Furcht vor dem Kilometer 54 ist jedes Mal stärker. Ich traue mich nicht zu träumen, doch das
     macht nichts, denn Luc träumt genug für zwei. Er schwimmt in seinen Laken und windet sich darin, während er mouillierte Laute,
     geflötete Silben von sich gibt. Er spricht, daran besteht kein Zweifel. Er unterhält sich mit einem rätselhaften Gegenüber
     in der fließenden Sprache seiner Gedichte. Wird er mit seinem Gestammel so lange fortfahren, bis die Stunde der Möwen schlägt?

10
    Großmutter wusste Bescheid. Sie war über unsere Fahrten zum Krankenhaus im Bilde. Sie hatte von einem Pfleger, der seine große
     Klappe nicht hatte halten können, alles erfahren, aber nichts dagegen unternommen. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass
     Luc sich so sehr um die Gesundheit ihrer Tochter sorgt; es hat sie gerührt. Jedenfalls ist jetzt Schluss mit unserem Versteckspiel:
     Großmutter hat Luc gestattet, uns zu begleiten. Wir werden also in Zukunft als Trio zu Mama pilgern. Das dürfte die Dinge,
     zumindest in logistischer Hinsicht, erleichtern.
     
    *
     
    Ich bin froh, dass Luc mit uns ins Krankenhaus kommt. Zu dritt lässt sich

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