Das Lächeln des Leguans
einem Demolition Derby durch endlose Korridore voller lauernder
Gefahren rasen und meinen Verfolgern nur dadurch im letzten Moment entkommen, dass ich aus einem Fahrstuhl in den nächsten
sprang. Ich stürmte mit Mama durch die überfüllte Cafeteria, während lauter Tabletts mit Essen durch die Luft flogen und ein
Schwadron von Muskelprotzen in weißen Kitteln uns auf den Fersen war. Ich malte mir aus, wie wir umzingelt und in die Waschküche
getrieben wurden und uns schließlich zwischen zwei Reihen von gigantischen Waschmaschinen, feindseligen Science-Fiction-Buddhas
mit klaffenden Bäuchen, verschanzten. Es war zwar ein äußerst gewagtes Unterfangen, aber wir mussten den Coup unbedingt wagen,
da von ihm Leben und Tod abhingen. Als kurz vor zwölf Uhr mittags das Adrenalin bereits durch unsere Adern pulste, stieß Großmutter
wieder zu uns, und wir stellten fest, dass sie ihre Kampfeslust vollständig wiedererlangt hatte. Sie verkündete, Großvater
stehe vorbehaltlos hinter uns. Gestärkt durch seinen moralischen Beistand, schleppte sie uns kriegerischenSchrittes in die Verwaltungsbüros, wo wir durch die Tür des Direktors stürmten.
Der sah ziemlich verdutzt aus. Er ließ zur Verstärkung Dr. Longuet kommen, und gemeinsam begründeten sie die Ablehnung unseres Ansinnens, indem sie uns ein unverdauliches Gebräu aus
medizinischen und administrativen Argumenten servierten. Wir ließen uns indessen nicht einschüchtern, und Großmutter forderte
erneut, dass man ihr die Frucht ihres Leibes aushändige. Dass Großvater mit zerzaustem Haar herbeieilte und lautstark eine
ambulante Behandlung forderte, gab schließlich den Ausschlag: Da Mamas Zustand in medizinischer Hinsicht keinen besonderen
Anlass zur Sorge gab, wurde uns die Genehmigung erteilt, sie im häuslichen Umfeld zu pflegen, und nach Unterzeichnung unzähliger
Papiere gab man sie uns schließlich zurück. Ich hatte gesiegt.
Sie wurde uns ohne Sirene im Krankenwagen gebracht, und wir betteten sie in ihrem früheren Mädchenzimmer, gleich neben meinem
Zimmer. Wie gut wir uns um sie kümmern würden! Diesen Quacksalbern und Krankenschwestern würden wir schon zeigen, was in uns
steckte. Sie würden schon sehen, wie viel liebevolle Fürsorge bewirken konnte. Ich war fest davon überzeugt, dass Mama im
warmen Schoß ihrer Familie, umgeben von den vereinten Schwingungen unser aller Liebe, über kurz oder lang wieder die Augen
öffnen würde.
14
Durch Mamas Rückkehr hat sich das Haus in einen stummen Bienenstock verwandelt. Wir wechseln uns an ihrer Seite ab. Ihre Nähe
gibt mir Mut, ganz zu schweigen von der zusätzlichen Hoffnung. Ich pflege meine schöne heimgekehrte Mama mit größter Hingabe
und bemühe mich, ihre Sinne neu zu beleben. Ich lasse sie den Duft ihrer Lieblingsblumen einatmen. Ich erzähle ihr alles Mögliche,
lese ihr vor, lege ihre Lieblingsmusik auf und öffne allmorgendlich ihr Fenster, damit der Refrain des Meeres zu ihr dringt.
Luc kümmert sich mit derselben Hingabe um sie. Wenn er dürfte, würde er neben ihrem Bett schlafen. Er schmückt ihr Kopfende
mit lauter mystischenMuscheln und flüstert ihr in der Tritonensprache therapeutische Formeln ins Ohr.
*
Auf der Veranda diskutieren Luc und Großvater mit den Mienen alter Seebären zähneklappernd über das Wetter. Luc ist es gelungen,
sich heute in die Räucherkammer einladen zu lassen; ein Zeichen dafür, wie sehr der alte Mann ihm vertraut. Was Großmutter
betrifft, so zuckt sie, wenn sie ihm im Flur begegnet, manchmal nach wie vor zusammen, doch gewährt sie ihm unsere Gastfreundschaft
ohne jeden Vorbehalt: Luc darf jederzeit bei uns übernachten und, wann immer ihm danach zumute ist, bei uns essen. Um sich
dieser besonderen Ehre würdig zu erweisen, versucht er sich zu domestizieren. Er macht sich mit dem Gebrauch eines Kamms vertraut
und bemüht sich, die Geheimnisse des Anstands zu erkunden. Nie lässt er eine Gelegenheit verstreichen, um Großmutters Kochkünste
zu loben oder sich positiv über ihre Garderobe zu äußern. Für dergleichen Aufmerksamkeiten ist sie durchaus empfänglich, und
sie betrachtet ihn mit zunehmendem Wohlwollen, wobei sie sich zu fragen scheint, ob hinter seinen ungehobelten Manieren nicht
etwa ein Edelmann verborgen sei. Luc hat den Dreh raus, sich einen Weg in unsere Sitten und Bräuche zu bahnen. Man muss ihn
gesehen haben, wie er mit Großmutter im Salon Tee trinkt. Es ist
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