Das Lächeln des Leguans
zwischen zwei gleichermaßen konkreten Daseinsformen. Ich frage mich, wie tief diese Spaltung seiner
Persönlichkeit wohl reicht. Glaubt er ernstlich, dass Fngls Geschichte seine eigene ist? Dass er der Bastard eines Schweinehunds
und einer Sirene ist? Dass seine Mutter in den Ozean, dem sie angeblich entstammt, zurückgekehrt ist? Rechtfertigt er damit
die Tatsache, dass man ihren Leichnam nie geborgen hat? Er würde es natürlich nie zugeben, aber ich weiß, dass er davon so
gut wie überzeugt ist. Deshalb blickt er nächtelang aufs Meer. Er verzehrt sich nach einem ganz bestimmten Gesang. Er wartet
auf den Ruf der Sirene. Für sie tanzt er am Wellensaum, um die Winde zu beschwören. An sie denkt er, wenn er in seiner Leguanhaltung
aufs Meer hinausstarrt.
13
Ich habe wieder angefangen zu schlafen. Das war gar nicht so einfach. Zunächst gelang es mir nicht, weil ich aus der Übung
war. Ich ließ mich mit bebenden Lidern rücklings in den Schlaf fallen und hatte Angst, in den Kilometer 54 wie in einen Silberdachsbau
zu stürzen. Aber nichts dergleichen geschah. Die Bilder des Kilometers haben sich in Luft aufgelöst. Der Blizzard, das gelbe
Auge, das Hupen und die verzweifelte Flucht durch das bedrohliche Labyrinth, all das ist vorbei. Da ich keinen Grund mehr
habe, der Schlaflosigkeit zu frönen, überlasse ich mich dem Schlaf mit der Hingabe eines Bären im Winter. Vielleicht schlafe
ich ja sogarzu gut, denn ich habe nur ganz gewöhnliche Träume. Keiner davon scheint etwas mit Mama zu tun zu haben. Heißt das, dass der
Leguan lediglich eine leere Hülle ist, eine mit Falschmeldungen ausgestopfte Marionette? Sagt das nur ja nicht Luc, er ist
nämlich ein erbitterter Verteidiger des Sauriers. Anstatt die Inkompetenz der präparierten Kreatur einzugestehen, gibt er
lieber mir die Schuld. Er wirft mir vor, dass mein Glaube nicht stark genug sei.
*
Ich schlafe wie ein Murmeltier und tanke neue Kräfte, doch auf dem Gebiet des Traumes herrscht absolute Sendepause. Um dem
abzuhelfen, hat Luc beschlossen, mir das Tanzen beizubringen; es ist in seinen Augen eine geeignete Methode, sich dem Leguan
zu öffnen. Der Tanz geht auf die »Leichten« zurück. Fngl hat ihn von einem alten Tritonen, einem Züchter von Meeraalen, gelernt,
und Luc hat ihn für seinen persönlichen Gebrauch in einer »schweren« Variante adaptiert. Angeblich wohnen dem Tanz magische
Kräfte inne; durch ihn erlange man die Fähigkeit, die Elemente zu beherrschen, sich die Strömungen zu unterwerfen, die Stürme
nach Belieben zu besänftigen oder zu entfachen. Luc will mir unbedingt die Grundschritte beibringen. Er behauptet, meine Zuversicht
würde dadurch gestärkt, der schwache Docht meines allzu klammen Glaubens entzündet, und er erwartet von mir, dass ich mich
der Sache mit Leib und Seele hingebe,was gar nicht so einfach ist. Offenbar genügt es nicht, sich irgendwelche Gräten ins Haar zu stecken und mit lautem Gegröle
wie wild in den Wellen herumzuhüpfen. Es handelt sich um eine komplexe Choreografie. Es geht um dieses Gebell, das es zu modulieren,
vor allem aber um dieses Nicht-Wollen, diese große Gelassenheit, die es anzustreben gilt. Damit es funktioniert, muss man
laut Luc die richtige Absicht verfolgen, nämlich die, keine zu haben. Ein ganz schöner mentaler Verrenkungsakt. Versucht mal,
euch zu konzentrieren und gleichzeitig völlig entspannt zu sein.
*
Er wirft mir vor, ich sei faul. Er will unbedingt, dass ich tanze, drängt mich, es zumindest zu probieren. Ich lasse ihm zuliebe
los und riskiere ein paar Schritte, gebe zwei, drei glucksende Laute von mir und bleibe betreten stehen. Es hat keinen Zweck:
Ich sehe ihm dabei zu, wie er sich die Kniescheiben kaputtmacht, wie ein kopfloses Huhn mit den Füßen stampft und dabei wie
ein Bügelhorn heult, kann darin allerdings nicht mehr als eine groteske Form von Rock ’n’ Roll erkennen. Er wirft mir meine
mangelnde Ausdauer vor, aber was weiß er schon über den skeptischen Kolibri, der von seinem Logenplatz aus lauthals über meine
Bemühungen herzieht? Luc beteuert, es sei ein Kinderspiel, man brauche sich nur leer zu machen und die Dinge geschehen zu
lassen, wie im Zirkus. Es sei dasselbe wie beim Fahrradfahren, man müsse nurden richtigen Dreh herausbekommen, aber wie kann er eine solche Parallele ziehen, wo er noch nicht mal einen Roller hat?
*
Sie wollen Mama nach Québec verlegen. Sie
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