Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
behaupten, es sei unumgänglich, und meine Großeltern haben verkündet, sie hätten
     ihrer Einweisung in diese verdammte Klinik in der Hauptstadt zugestimmt. In fünf Tagen werden sie sie dorthin bringen, mit
     dem Hubschrauber. Warum schießen sie sie nicht gleich auf den Mond?
     
    *
     
    Ich habe von ihr geträumt. Ich betrat ihr Zimmer, ein anderes als das im Krankenhaus von Villeneuve; es war ein finsterer,
     mittelalterlicher Raum, und draußen vor dem Fenster lastete ein regenverhangener Himmel auf den graugrünen Giebeln von Québecs
     Altstadt. Das Bett meiner Mutter war ein altes, monumentales Möbelstück, mit einem Baldachin, den ausgefranste Schleier schmückten.
     Sie lag auf diesem Katafalk, doch ihr Haar war ein einziges Durcheinander aus Eiswürfeln. Ihre Wangen wirkten eingefallen,
     ihre Gesichtszüge ausgemergelt. Ein unerklärlicher Alterungsprozess hatte Mama ganz runzelig und welk werden lassen. Sie schien
     seit Jahrhunderten in diesem Bergfried zu schlafen und war nur noch eine Mumie ihrer selbst.
    Ich erwachte in der Stille, die dem Eintreffen der Möwenvorausgeht, und mein erster Gedanke galt dem Leguan. War das womöglich der Traum, den man mir verheißen hatte?
     
    *
     
    Der Traum ließ mich auch dann nicht los, als wir Mama besuchten, und beim Anblick der schrecklichen ledernen Maske, die sich
     auf ihrem Gesicht abzeichnete, wusste ich gleich, dass der Traum eine Vorahnung gewesen war: Ich hatte Mama als die gesehen,
     zu der sie würde, wenn wir nichts unternahmen, um sie wieder aufzuwecken. Da begriff ich, dass es ein großer Fehler wäre,
     sie nach Québec zu verlegen, und dass wir sie umgehend aus diesem Bett schaffen mussten, weil sie sonst dazu verdammt wäre,
     für immer und ewig in der Vorhölle zu bleiben. Wir mussten sie nach Hause holen, darin bestand für mich kein Zweifel, und
     meine Gewissheit war so stark, dass es mir nicht schwerfiel, die anderen davon zu überzeugen. Luc hielt die Idee für genial,
     und Großmutter schloss sich ihm an: Wo sollte Mama wieder zum Leben erwachen, wenn nicht in der vertrauten Umgebung ihrer
     Kindheit?
    Wir suchten Dr.   Longuet in der Ambulanz auf und schilderten ihm unser Vorhaben, worauf der Mediziner sogleich unsere Euphorie dämpfte. Er
     glaubte nicht, dass sich Mamas Zustand durch eine vorzeitige Rückkehr nach Hause bessern würde. Er hielt es für notwendig,
     sie nach Québec zu schicken, wo ihr die denkbar beste Behandlung zuteilwürde. Oh, wie sehr ging mir dieser eingebildeteHalbgott in Weiß auf die Nerven, der mit uns sprach, als wären wir noch im Kindergarten! Allerdings geriet Großmutters Entschluss
     durch seine Worte ins Wanken, und als wir wieder im Gang standen, gab sie dem stethoskopischen Wesen recht: Was zähle eine
     bloße Eingebung im Vergleich zu all dem Fachwissen, in dem die Vertreter der medizinischen Zunft den lieben langen Tag vor
     sich hin schmorten? Ich gab mich mit diesem abergläubischen Gewäsch nicht zufrieden. Ich wusste, dass ich recht hatte, hielt
     Großmutter eine Standpauke und warf ihr vor, sich zum Narren halten zu lassen. Als sie sah, wie aufgebracht ich war, zögerte
     sie und gestand, sie müsse erst noch Großvater nach seiner Meinung fragen. Während sie sich aufmachte, um mit ihm zu telefonieren,
     gingen wir in die Cafeteria und tranken eine Orangenlimo. Als ich hörte, dass Luc meine Überzeugung teilte, atmete ich auf.
     Wir waren uns einig: Da der ungute Einfluss des Weißkittels Großmutters Willenskraft offenbar paralysierte, würden wir die
     Sache allein in die Hand nehmen. Woraufhin wir sämtliche Neuronen mobilisierten, um einen Entführungsplan zu schmieden.
    Wir würden Mama zur Abendessenszeit kidnappen. Luc würde in einem entfernten Gang durch die Simulation eines Anfalls dämonischer
     Besessenheit die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und ich würde diese Ablenkung nutzen und mir meine Mutter schnappen.
     Ich würde sie in einen Rollstuhl setzen und durch eine Tür im Untergeschoss mit ihr verschwinden. Dergute alte Bungalow meines früheren Lebens war nur zwei Straßen entfernt, und ich hatte noch immer einen Schlüssel: Er wäre
     ein geeignetes Versteck. Wir waren uns der möglichen Risiken einer solchen Operation sehr wohl bewusst. Uns war klar, dass
     man das Personal täuschen müsste, dass man mich möglicherweise erkennen und mir, während ich meine Mutter durch das Gebäude
     schob, nachstellen würde. Ich sah mich wie in einem Drehbuch zu

Weitere Kostenlose Bücher