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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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trennen? Hielt er sie deswegen
     gefangen? Wie konnte ich dann hoffen, ihn zu überzeugen, sie mir wiederzugeben? Und wie sollte ich mir bei diesem melancholischen
     Phantom, das noch nicht einmal Ohren zum Hören, geschweige denn einen Mundzum Antworten hatte, Gehör verschaffen? Wie konnte man überhaupt mit ihm kommunizieren? Per Morsealphabet? Über Telepathie?
     
    *
     
    Anscheinend gedenkt der Geist die Initiative zu ergreifen. Als ich heute Nacht den Kilometer 54 erreichte, stand er bereits
     am Rand des Gleisbettes und erwartete mich. Er wirkte erregt, als sei er sich in besonderem Maße meiner Gegenwart bewusst.
     Er hatte die überlegene Zurückhaltung, von der sein bisheriges Verhalten bestimmt war, abgelegt und wendete sich gestikulierend
     an mich. In einer hilflosen Geste, die den Kilometer mit einbezog, breitete er die Arme aus, dann ließ er seine Fäustlinge
     zu Boden fallen und streckte seine Hände nach mir aus. Eine ähnliche Geste wird wohl der Sohn von dem da oben vollzogen haben,
     als er die Kindlein zu sich rief, nur war ich das einzige Kind weit und breit und kaum geneigt, seiner Aufforderung Folge
     zu leisten. Papas Hände erhoben sich bis zur gähnenden Leere seines Gesichts, und aus seinem klaffenden Hals schnellte eine
     Feuerzunge. Die Flamme tanzte auf seinen Schultern und rollte sich spiralförmig zusammen, wobei sie in etwa die Form seines
     einstigen Kopfes annahm. Er war wie eine Legierung aus geschmolzenen Metallen, in der sich die Grimassen ziehende Andeutung
     eines gequälten Gesichts abzeichnete. Die Hände lösten sich von diesem lodernden Antlitz und senkten sich in einer flehenden
     Geste zu mir herab. Drängend.Bettelnd. Dann flatterten sie wie aufgeregte Möwen durch die eisige Luft und flogen, kurz bevor der Traum endete, davon.
    Zum ersten Mal hat der Geist seine Rüstung aus Gleichgültigkeit abgelegt und ein Zwiegespräch zu führen versucht. Seine Absichten
     bleiben weiterhin unklar, und die Bedeutung des Traumes ist nach wie vor ein Rätsel, aber mir scheint, als sei in der Geschichte
     unserer Geist-Sohn-Beziehung ein neues Kapitel aufgeschlagen worden.
     
    *
     
    Ich werde neuerdings wieder von heftigen Träumen heimgesucht, die schwer zu beschreiben sind, aber gewiss von meinem Vater
     herrühren, da sie allesamt dasselbe Thema heraufbeschwören: seine Hände, sein Gesicht. Es tauchen glühende Gesichter, mutierende
     Köpfe aus Lava und andere sprießende Eruptionen auf. Und immer wieder werde ich von Händen angefleht, die sich öffnen, sich
     nach mir ausstrecken. Ich denke, der Geist versucht, mir eine Nachricht zu übermitteln. Was haben diese kryptischen Pantomimen
     und wahnwitzigen Feuerbestattungen nur zu bedeuten? Was er mir wohl damit sagen will?
     
    *
     
    Die Visionen werden immer fiebriger. Manche sind ziemlich erschreckend, wie dieses väterliche Antlitz, das von hungrigen Würmern
     bis auf den Knochen abgenagt wird, andere hingegen nur seltsam, obsessiv: Etwa wenn PapasGesicht zu einem nicht zu lösenden Geduldsspiel wird, zu einem widerspenstigen Puzzle, dessen einzelne Teile nicht an ihrem
     Platz bleiben und nacheinander verloren gehen. Oder zu einem Foto, auf dem seine Gesichtszüge zu tanzen beginnen und immer
     undeutlicher werden, bis sie nicht mehr zu erkennen sind. Sein mit Kreide auf den Bürgersteig gemaltes Porträt, das vom Regen
     ausgelöscht wird. Das flüchtige Kielwasser seines Blicks, über dem sich der Ozean schließt   …
     
    *
     
    Der Geist wird allmählich ungeduldig, seine Erscheinungen gehen über die Ebene des Traumes hinaus und greifen auf beunruhigende
     Weise in die Realität ein. Die Visionen verschmelzen zwischen meinen Lidern mit dem irisierenden Morgenlicht und bedrängen
     mich selbst noch bei Tage. Ich halluziniere. Ich sehe, wie sich in den Wolken Hände formen. Papas Gesicht zeichnet sich in
     den Falten eines vom Wind geblähten Vorhangs ab, im wirbelnden Staub eines durch das Fenster fallenden Sonnenstrahls. Selbst
     der Mond mischt sich ein und streckt mir flehende Hände entgegen, während auf seinem rundlichen Antlitz vermeintliche Blicke
     zerlaufen.
    Diese Hände, diese fließenden Gesichter, diese unheilvollen Vorzeichen, diese im Wind wirbelnden Bilder, die im nächsten Augenblick
     verblassen   …
     
    *
     
    Ich fühle mich beobachtet. Ich traue mich nicht mehr, in den Spiegel zu sehen, aus Angst, hinter mir eine kopflose Silhouette
     zu erblicken. Was sollen diese bleichen Mimenhände,

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