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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Hochzeit. Ich habe Dämonen zerschmettert und mit den Göttern gesprochen. Ich bin zu zwei Teilen selber göttlich und nur zu einem Teil sterblich.« Er starrte sie an und ließ die Worte in sie sinken, die er so oft und unter ähnlichen Umständen wie jetzt aufgesagt hatte. Dann sprach er leiser weiter: »Als mich der Tod ereilte, gelangte ich in dieses Untere Reich, das sie die Nachwelt nennen, und hier verbringe ich meine Zeit und jage, und nun bitte ich euch, mich zu entschuldigen, denn, wie ihr seht, habe ich zu tun.«
    Wieder wandte er sich ab.
    »Gilgamesch!« wiederholte Lovecraft erstaunt. Und der andere sagte: »Also, wenn ich hier bis ans Ende der Zeit leben muß, H. P. daran werde ich mich nie gewöhnen. Das ist ja noch unglaublicher, als meinem Conan zu begegnen! Stell dir das vor: Gilgamesch! Gilgamesch!«
    Was für eine eklig-öde Sache, dachte Gilgamesch, diese ganze Ehrerbietung, diese Anbetung.
    Schuld daran war dieses verdammte Epos, natürlich! Er verstand jetzt, weshalb Caesar so gereizt wurde, wenn sich Leute an ihn heranzuschmeißen versuchten, indem sie ihm Shakespearezitate entgegensäuselten. »Mann, er besteigt die enge Welt wie ein Koloß«, und derlei Zeug. Caesar wurde bei der dritten Silbe fuchsteufelswild. Sobald sie einen erst einmal dichterisch verarbeiten, das hatte Gilgamesch herausgefunden, wie dies nach ihm dem Odysseus und dem Achilles und Caesar passiert war und manch einem anderen, konnte es passieren, daß das eigene Selbst immer mehr zu schwinden begann und die Gestalt des Dichtwerks einen mehr und mehr gänzlich aufzusaugen begann, bis man zu einem wandelnden Gemeinplatz geworden war. Und dieser Shakespeare war in dieser Hinsicht besonders schurkisch verfahren, fand Gilgamesch. Man brauchte nur Richard III. zu fragen, oder Macbeth, oder Owen Glendower. Man sah sie in der Nachwelt herumschleichen, andauernd komplexbeladen, weil jedesmal, wenn sie das Maul aufmachten, die Leute von ihnen bedeutende Sätze erwarteten, wie: »Mein Königreich für ein Pferd!« oder »Ist dies ein Dolch, den ich da vor mir sehe?« oder »Ich kann die Geister aus den wüsten Tiefen rufen.« Damit hatte Gilgamesch leben müssen, beinahe vom ersten Tag seines ersten Aufenthalts in der Nachwelt; denn sie hatten diese Gedichte über ihn bald danach verfaßt, dieses ganze pompös-tiefsinnige Zeug, eine ganze Latte von Gilgameschgeschichten, von denen manche wahre Erfährnisse und Taten berichteten, andere nur abenteuerliche Erfindungen waren, und dann hatten die Babylonier und die Assyrer und diese stinkenden Knoblauch verschlingenden Hethiter sich daran gemacht und das alles noch einmal tausend Jahre lang weiter übersetzt und ausgeschmückt, bis jeder in der bekannten Welt von einem Ende bis zum anderen die Geschichten auswendig konnte, und sogar als diese ganzen Völker dahingegangen waren und ihre Sprachen vergessen, gab es kein Erbarmen, denn die Leute im zwanzigsten Jahrhundert hatten das alles aufgefunden und den Text irgendwie entziffert und wieder berühmt gemacht. Und über die Jahrhunderte hinweg hatte man ihn zum Allzweckhelden für alle gemacht, was eine verdammt schwere Last war: Da gab es Fetzelchen von ihm in den Prometheuslegenden und in dem ganzen Zeug über Herkules und in dieser Geschichte über die Irrfahrten des Odysseus, und sogar in den Mythen der Kelten, und das mochte vielleicht der Grund sein, weshalb dieser schauerliche Kerl Howard ihn so hartnäckig Conan nannte. Aber dieser andere Conan, dieser kleine, miese, besoffene Kotzbrocken, war ein Kelte gewesen. Bei Enlil, aber es war schon ermüdend, wenn alle von einem erwarteten, daß man den mythologischen Erwartungen an die Großtaten von zwanzig, dreißig verschiedenen Heroen der Menschenkultur gerecht werden sollte! Herkules und Odysseus und ein paar von den anderen nicht-mythischen Helden hausten höchstpersönlich im Original peinlicherweise ebenfalls hier, und sie hatten die Neigung, ziemlich besitzträchtig auf den Mythen zu beharren, die irgend jemand ihnen zugeschrieben hatte, auch wenn diese Mythen nichts weiter waren als Ab- und Umwandlungen seiner eigenen, viel älteren.
    Gewiß, die Erzählungen über ihn, Gilgamesch, hatten einen wahren Kern, besonders die Teile über ihn und Enkidu, aber der Dichter hatte die Geschichte mit reichlich hochgestochenen, zusätzlichen, künstlerisch unnötigen, dummen Schnörkeln hochgewürzt, wie das die Poeten eben stets so tun, und auf jeden Fall wurde man es doch sehr leid zu

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