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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Weg ins Land der Lebenden finden würde, den er sucht.«
    »Das Land der Lebenden?«
    »Ich habe diese Nachwelt satt, Enkidu! Ich möchte so gern wieder wirklich sein.«
    »Aber wir sind doch hier und wirklich, Herrin.«
    »Ach, du weißt schon, was ich meine. Ich möchte an einem Ort leben, wo alles einen gewissen Sinn hat, wo die Flüsse nicht bergauf fließen, wenn ihnen gerade danach zumute ist, und wo die Städte nicht herumziehen wie Kähne auf einem See.«
    »Ja, ich weiß, was du meinst«, sagte Enkidu. »Und ich habe ebenfalls diesen Wunsch. Ich würde selbst ins Land der Lebenden ziehen, wenn ich den Weg finden könnte.«
    »Wir könnten ihn gemeinsam finden, Enkidu.«
    »Was? Wie?«
    »Weißt du, wo Brasil liegt? Die Zauberinsel?«
    Er nickte nicht ganz überzeugt. »Eine ziemliche Strecke die Küste abwärts, glaube ich.«
    »Ah, du warst nicht dort?«
    »Ich selbst nicht, obschon ich einmal dort ganz in der Nähe war. Aber Gilgamesch war da.«
    »Der Weg ins Land der Lebenden ist in Brasil.«
    Enkidu starrte sie an. »Weißt du das bestimmt?«
    »Jemand hat es Raleigh glaubwürdig versichert. Ein Mann, der es zu wissen schien. Ich habe es auf seiner Landkarte mit einem flammenden Zeichen eingezeichnet gesehen. Und er zog in diese Richtung, als uns die Vorräte ausgingen. Und nun ist ihm das Verlangen abhanden gekommen, dort hinzugehen. Mir aber nicht. Du und ich, Enkidu, du und ich, wir könnten Brasil erreichen, wir könnten das Geheimnis durchdringen, wir könnten durch dieses Tor gehen…«
    »Das glaubst du?«
    »Ich weiß es.« Sie bog sich zu ihm herauf und züngelte verführerisch über ihre Lippen, und sie lachte, und diesmal war es nicht das Knurren eines Löwenweibchens, sondern eher ein Schnurren. »Wir könnten hinfinden, du und ich, das weiß ich.« Wieder fühlte er ihre Hitzigkeit. Sie hatte den Glutofen wieder entzündet. »Nun, Enkidu?«
    Und diesmal zauderte er nicht. Seine Hände legten sich auf ihre Brust. Und sie bedeckte sie mit ihren eigenen Händen. Das gurrende Schnurren wurde stärker in seinen Ohren, bis es ihm wie ein Dröhnen war, und dann brach sie über ihn herein wie ein Strom feuriger Lava.
    Keiner war noch bei Gilgamesch im Audienzsaal, außer Vy-otin und Herodes und einigen Wachen. Er hätte gern Enkidu ebenfalls bei sich behalten, doch dieser war an der Seite von Helena davongeeilt, ehe Gilgamesch ihm ein Zeichen hatte geben können, und er war nicht herzlos genug, ihn zurückzurufen. Aber er ließ nach Magalhaes senden und nach dem Haarmenschen.
    »Also?« fragte er, während er darauf wartete, bis sie kamen. »Was haltet ihr von diesem Raleigh?«
    »Ein außergewöhnlicher Mann«, sagte Herodes. »Gescheit und voll von Ränken. Ein großer Führer und ein großer Verführer und Schwindler, das ist es, was ich glaube.«
    »Er lügt nicht mehr, als er unbedingt muß«, sagte Vy-otin. »Ich sprach mit ihm, ehe er hier hereinkam. Es lag in der Natur seines Landes, daß große Männer Gefahr liefen, außer wenn sie eine glatte sanfte Zunge führten. Diese Elizabeth, die er so zu verehren scheint, war in ihrem Erstleben ein gefährliches Weib und ließ andauernd ihren bevorzugtesten Höflingen die Köpfe abschneiden, aber diesem Raleigh gelang es, den seinen zu behalten. Doch der König, der nach dieser Frau auf den Thron kam, steckte ihn für ein Dutzend Jahre oder so ins Gefängnis und ließ ihn dann schließlich trotzdem umbringen.«
    Gilgamesch runzelte die Stirn. »Weshalb tat er das? Mir erscheint das ein schrecklich unnötiger Aufwand zu sein.«
    »Der Grund war irgendeine Expedition, die fehlschlug und die Nation teuer zu stehen kam, und Gerüchte, daß er mit dem König eines anderen Landes konspiriert haben soll, was dieser Raleigh mir gegenüber bestritt. Aber in Wahrheit, glaube ich, hat der König ihn aus purer Ranküne beseitigen lassen, weil er ein zu gescheiter und zu aufmüpfiger Kopf war.«
    »Aber einen Mann von solchen Qualitäten deswegen ermorden zu lassen – sie müssen ein recht barbarischer Volksstamm gewesen sein, diese Englischen«, sagte Gilgamesch.
    »Wir Leute aus dem Pleistozän«, sagte Vy-otin mit einem schiefen Grinsen, »waren wirklich die echten letzten Zivilisierten. Wir aus dem Aurignac, wir Archetypen. Es hat etwas recht Positives, zwischen Gletschern in einer Eiszeit zu leben und zwischen den wollzottigen Mammuts, die aus dir einen anständigen Menschen machen und dich mit Kleidung versorgen. Aber seit damals ging es die ganze Zeit

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