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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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mochten sie liegen, diese anderen Orte aus den Letzten Tagen der Anderen Welt, dieses Afrika, dieses Asien, dieses Europa und der Rest, Rom, Griechenland, England? Vielleicht waren das ja teilweise nur neue Namen für alte Orte. Das Land hatte ja auch eine Vielzahl von Namen getragen, seit seiner Zeit – Babylonien, Mesopotamien, Irak und andere. Wieso brauchte es diese ganzen Namen? Er wußte es nicht. Neue Männer erfanden oft neue Namen; es schien der Lauf der Welt zu sein. Dieses Afrika, dieses Asien – Amerika, China, Rußland – ein kleiner Grieche namens Herodot hatte einst versucht, es ihm zu erklären, wie die Welt gestaltet sei und die Namen der Orte auf ihr, indem er auf einem Stück alten Pergaments eine Zeichnung anfertigte, und viel später hatte ein Starrkopf namens Mercator das ebenfalls getan, und später hatte er sich dann darüber mit einem Engländer namens Cook unterhalten; aber was diese Leute ihm sagten, war in sich alles widersprüchlich und ergab für ihn überhaupt keinen Sinn. Es war allerdings auch etwas viel verlangt, da einen Sinn zu sehen. Diese Tausende von Nationen, die nach seiner Zeit aufgetaucht waren, diese Großreiche, die entstanden und wieder zerfallen und vergessen waren, all diese verschwundenen Herrschergeschlechter, die Häuptlinge und Könige – hin und wieder hatte er sich bemüht, ihre Reihenfolge zu merken, aber vergeblich. Einst, in seinem früheren Leben, ja, da hatte er danach gestrebt, Meisterschaft in allen Wissensgebieten zu erlangen. Sein Appetit war grenzenlos gewesen, sein Hunger: nach Wissen, nach Reichtum, nach Macht, nach Weibern, nach dem Leben an sich. Jetzt erschien ihm das alles als reinste Torheit. Und das Gewirr verwirrter und verwirrender Namen von Orten, die großen Reiche und fernen Königtümer, sie gehörten in eine andere Welt, was konnten sie ihm jetzt bedeuten?
    »Asien?« fragte er sich. »Afrika?« Er zuckte die Achseln. »Der Priesterkönig Johannes?« Er suchte in den untersten trägen vollbeladenen Strudeln seiner Erinnerung. »Aha. Da haben wir einen Priester Johannes. Ich glaube, er lebt in Roma Nova. Ein dunkelhäutiger Mann, ein Freund von diesem frechen alten Lügner Sir John Mandeville.« Nun kam es ihm wieder ins Gedächtnis. »Ja, ich habe sie oft beisammen gesehen, in der dreckigen verkommenen Taverne, in der man den Mandeville immer antreffen kann. Und die zwei erzählen sich gegenseitig absonderliche Geschichten, wobei der eine ein noch größerer Schwindler ist als der andere.«
    »Ein anderer Priester Johannes«, sagte Lovecraft.
    »Dieser da ist Susenyos der Äthiopier, glaube ich«, sagte Howard. »Ein ehemaliger afrikanischer Tyrann, er liebte die Jesuiten, und jetzt ist er ein schwerer Whiskeysäufer. Er ist nur einer von vielen. Meiner sicheren Kenntnis nach treiben sich in der Nachwelt hier sieben, neun oder ein Dutzend Priester Johannesse herum. Vielleicht sogar noch mehr.«
    Gilgamesch betrachtete diese Bemerkung ohne Aufmerksamkeit und Interesse. Ihm lief der Schmerz von seiner Pfeilwunde jetzt brennend den Arm auf und nieder.
    Lovecraft sagte: »…gar kein echter Name, sondern nur ein Titel, und außerdem noch ein verderbter. Es hat nie einen wirklichen Priester Johannes gegeben, sondern nur verschiedene Herrscher in verschiedenen fernen Ländern, und es gefiel den Geschichtenspinnern in Europa sie jeweils Priester Johannes zu nennen, den Christenkaiser, den großen geheimnisvollen unbekannten Monarchen eines sagenhaften Reiches. Und so gibt es hier in der Nachwelt viele, die sich diesen Namen zulegten. Er bringt Macht mit sich, verstehst du?«
    »Macht und Majestät!« rief Howard laut. »Und Poesie, bei Gott!«
    »Also ist dieser Priester John, zu dem wir jetzt fahren«, fragte Gilgamesch, »in Wirklichkeit gar nicht der Priesterkönig?«
    »Yeh-lu Ta-shih ist sein richtiger Name«, sagte Howard. »Chinesisch. Eigentlich mandschurisch, aus dem zwölften Jahrhundert der Neuen Zeitrechnung. Der erste Herrscher des Großreichs Kara-Khitai mit der Kaiserstadt Samarkand. Herrschte hauptsächlich über Horden von Mongolen- und Turkstämmen, und sie nannten ihn Gur-Khan, was ›Höchster Herrscher‹ bedeutet, und das hat sich irgendwie auf dem Weg nach Europa damals zu ›Johann‹ gemausert. Und man behauptete auch, daß er ein christlicher Priester gewesen sei, Presbyter Johannes.« Howard lachte. »Diese verdammten blöden Kerle. Der war genauso wenig ein Christ wie du. Buddhist war er, ein verfluchter

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