Das Land der lebenden Toten
durchzuhalten. Er fragte sich, ob dieser Priester Johannes irgendein Spiel mit ihm treiben wollte, oder er sehen wollte, wie lange er durchhalten konnte. Nun, wenn es sein mußte, schwor er sich, dann würde er ewig weiter vor diesem Priesterkaiser stehen, ohne sich ein Zeichen von Schwäche anmerken zu lassen.
Doch nun schien Yeh-lu Ta-shih endlich bereit, Mitgefühl zu erweisen. Mit einem Blick zu einem der Pagen sagte er: »Holt meinen Leibarzt und sagt ihm, er soll seine Instrumente und seine Tränke mitbringen. Diese Wunde hätte schon vor einer Stunde versorgt werden müssen.«
»Ich danke dir, mein Lord«, murmelte Gilgamesch, bemüht, nicht zu stark ironisch zu klingen.
Der Arzt erschien beinahe sogleich, als hätte er schon im Antechambre gewartet. Wieder eines von den kleinen Spielchen, die sich der Priester Johannes gönnte? Vielleicht. Der Arzt war ein grobschlächtiger, breitschultriger Wuschelkopf von nicht mehr sehr jungen Jahren, und seine Art war knapp und scharf und geschäftsmäßig, aber dennoch warm, besorgt und vertraueneinflößend. Er zog Gilgamesch neben sich auf einen niederen Diwan, der von der graugrünlichen Haut eines schuppigen Höllendrachens bedeckt war, er spähte in die Wunde, brummte etwas Unverständliches in einer unbekannten Sprache vor sich hin und drückte mit seinen dicken Fingern auf das zerfetzte Fleisch, bis frisches Blut herausfloß. Gilgamesch holte scharf Luft, zuckte aber nicht zusammen.
»Ach, mein lieber Freund, leider muß ich Ihnen noch einmal weh tun, aber es ist zu Ihrem eigenen Besten. Verstehen Sie das?«
Die Finger des Arztes gruben tiefer. Er zog nun die Wunde auseinander, tupfte sie aus und reinigte sie mit einer hellen Flüssigkeit, die wie ein glühendes Eisen sengte. Der Schmerz war derart scharf, daß er schon beinahe wieder lustvoll war; es war ein reinigender Schmerz, eine Säuberung der Seele.
Der Priester Johannes fragte: »Wie schlimm ist es denn, Dr. Schweitzer?«
»Gott sei Dank, es ist zwar tief, aber ein sauberer Durchschuß. Das heilt ohne Folgeschäden.«
Er sondierte und reinigte die Wunde weiter und redete dabei leise auf Gilgamesch ein: »Bitte noch einen Augenblick, mein Freund.« Zum Priesterkönig sagte er: »Der Mann ist aus Stahl. Überhaupt keine Nerven, enormen Widerstand gegen Schmerz. Hier haben wir einen der Großen Helden, nicht wahr? Du bist Roland, ja? Oder vielleicht Achilles?«
»Gilgamesch ist sein Name«, sagte Yeh-lu Ta-shih.
Die Augen des Arztes begannen zu leuchten. »Gilgamesch! Gilgamesch aus Sumer? Wunderbar! Wunderbar! Der wahre Mann schlechthin. Der Sucher nach dem Ewigen Leben. Oh, wir müssen uns unterhalten, mein Freund, du und ich, wenn es dir wieder besser geht.« Dann zog er aus seinem Arztkoffer eine schrecklich wirkende Injektionsspritze. Gilgamesch sah zu wie aus weiter Ferne, als gehörte der geschwollene schmerzpochende Arm einem anderen. »Jaja, wir müssen uns ganz bestimmt unterhalten, über das Leben, über den Tod, über Philosophie, mein Freund, über die Philosophie! Wir haben so viele Dinge zu besprechen!« Er stach Gilgamesch die Nadel unter die Haut. »Also. Genug. Bleib still und ruh dich aus. Jetzt setzt der Heilungsprozeß ein.«
Robert Howard hatte nie etwas Vergleichbares gesehen. Es hätte direkt den Seiten einer seiner Conan-Geschichten entsprungen sein können. Dieser große Ochse hatte einen glatten Pfeildurchschuß im Armmuskel abbekommen, hatte das Geschoß einfach herausgerissen und unbeirrt weitergekämpft. Und hinterher hatte er sich betragen, als sei die entzündete Wunde nur ein Kratzer, während sie Stunde um Stunde zur Residenzstadt des Priesterkönigs Johannes gefahren waren, und dann hatte er die langwierigen Befragungen durch die Hofbeamten über sich ergehen lassen und hatte diese ganze endlose Empfangszeremonie standhaft und auf den Beinen durchgehalten – Allmächtiger, was für eine Demonstration von Ausdauer und Durchhaltevermögen! Gewiß, am Ende war Gilgamesch ein wenig wackelig geworden, und es hatte so ausgesehen, als könnte er ohnmächtig werden. Aber jeder gewöhnliche Sterbliche wäre dabei längst zusammengebrochen. Aber Helden waren eben wirklich anders. Sie gehörten einer völlig anderen Rasse an. Sieh ihn dir doch nur an, wie gelassen er dasitzt, während dieser alte elsässische Doktor ihm die Wunde ausputzt und ihn so beiläufig grob zusammenflickt, und er gibt keinen Laut von sich! Kein Stöhnen!
Howard verspürte plötzlich das Verlangen,
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