Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
jagen könne, um dabei ein wenig Linderung seines Kummers zu finden.
    Doch dieser hagere Langhals und sein Freund, dieser rotgesichtige Prahlhans, hatten ihn höflich eingeladen, mit ihnen in ihrem Landrover zu fahren, und während er noch so dastand und stirnrunzelnd über das Angebot nachdachte, hatten die häßlichen flachgesichtigen kleinen gelben Krieger ihm mit ungeduldigen Gesten bedeutet, daß er besser in das Fahrzeug steigen solle. Und das tat er denn auch. Es sah so aus, als würden sie ihn durchaus gewaltsam dazu bringen, falls er sich weigerte, und wenn er auch keinerlei Furcht vor ihnen empfand, nicht die geringste Furcht, hatte etwas in ihm, das er noch nicht zu begreifen vermochte, ihn dazu veranlaßt, einem erneuten Kampf möglichst aus dem Weg zu gehen, und er war statt dessen lieber in dieses Fahrzeug gestiegen. Möglich auch, daß er für eine Weile genug davon hatte, allein zu jagen. Oder aber weil die Wunde in seinem Arm schmerzhaft zu toben begann, nachdem nun die Erregung wegen der Rangelei abgeklungen war, und es erschien ihm als eine vernünftige Verfahrensweise, einen Wundarzt die Sache ansehen zu lassen. Um die Verletzung herum war das ganze Fleisch schlimm geschwollen und verfärbt. Dieser Pfeil hatte ihn glatt durchschlagen. Er würde den Einschuß säubern und verbinden lassen; dann würde er weiterziehen.
    Also schön, er reiste jetzt an den Hof des Priesters Johannes. Er hockte stumm und düster auf dem Rücksitz des dumpf riechenden von Schimmelflecken bedeckten Fahrzeugs und fuhr mit diesen zwei sehr drolligen Vertretern der Später Toten, diesen Schreibern oder Geschichtenerzählern oder was immer zu sein sie behaupteten, unter dem Geleit des Reitertrupps zum Lager ihres Herrschers, dieses Priesters Johannes.
    Der Mann, der Howard hieß, der es nicht über sich bringen konnte, ihm ab und zu scheue flüchtige Blicke zuzuwerfen wie ein verliebtes Dienstmädchen, saß am Steuer. Wieder blickte er nach hinten und sagte: »Sag mir, Gilgamesch, hattest du früher schon einmal mit dem Priester Johannes zu tun?«
    »Den Namen habe ich schon gehört, soweit ich mich erinnere«, antwortete der Sumerer. »Aber eigentlich bedeutet er mir nicht viel.«
    »Ein berühmter legendärer christlicher Herrscher«, sagte der andere, der hagere Mann, der Lovecraft hieß. »Von dem es heißt, daß er irgendwo in nebelhaften Fernen mitten in Zentralasien über ein verborgenes Königreich herrschte – obwohl es ja eigentlich in Afrika hätte sein müssen, wenn man gewissen anderen Quellen…«
    Asien – Afrika – Namen, bloße Namen, dachte Gilgamesch düster. Orte irgendwo in dieser anderen Welt, der Schattenwelt, aus der er schon so lange fortgegangen war. Er hatte keine Ahnung, wo diese Länder liegen mochten.
    Was für ein Übermaß von Gegenden und Namen dafür! Kein Vernünftiger konnte das alles noch überschauen. Es war sinnlos. Die Welt – seine Erste Welt, die im ›Land‹ – war begrenzt gewesen von den Zwei Strömen, Idigna und Buranunu, welche die Griechen später als Tigris und Euphrates bezeichnet hatten. Aber wer waren die Griechen, und mit welchem Recht benannten sie die Ströme um? Alle benutzten jetzt diese neuen Namen, sogar er, Gilgamesch, selbst – außer ganz tief in seinem Herzen.
    Und über die zwei Ströme hinaus? Nun, dort lag weit im Osten der Vasallenstaat Haratta, erinnerte er sich, und da lag auch das Zedernland, wo der feueratmende Dämon Huwawa herumfauchte und brüllte, und in den östlichen Bergen lag das Königreich der elamitischen Barbaren. Im Norden lag das Uri genannte Land, und in der Wüste im Westen hausten die unzivilisierten Martustämme, und im Süden lag die gesegnete Insel Dilmun, die wie das Paradies war. Hatte es da eine Welt jenseits dieser Welt gegeben? Gewiß, da war noch Meluhha, in weiter Ferne, jenseits von Elam, wo das Volk eine schwarze Haut hat und feine, noble Gesichter: und dann im Süden das Land Punt, wo sie ebenfalls dunkelhäutig waren, mit platten Nasen und dicken Lippen; und dann gab es da noch ein Land weit hinter Meluhha, wo Leute mit gelber Haut lebten, die einen kostbaren grünen Stein aus der Erde gruben. Und dies war die Welt, die er gekannt hatte, als er noch in der Welt lebte, dieser anderen Welt, die er so kurz nur durchwanderte, ehe er in diese Welt des Ewigen Lebens kam. Aber offenbar hatte es in jener anderen Welt andere Gegenden gegeben, Orte, von denen er keine Ahnung hatte oder die nach seiner Zeit entstanden waren. Wo

Weitere Kostenlose Bücher