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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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fuhr davor zurück, als hätte ich ihm eine Giftschlange gegeben.«
    »Lüge!« brüllte Gilgamesch. »Ich hatte keine Angst davor! Ich verachtete das Ding, weil es eine Waffe für Feiglinge ist!«
    »Er schreckt vor allem zurück, was neu ist«, erklärte Enkidu. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß Gilgamesch von Uruk Furcht kennen könnte, doch er fürchtet sich vor dem, was ihm unvertraut ist. Er nannte mich einen Feigling, weil ich mit einem Gewehr auf die Jagd ging. Doch ich denke, er war feige. Und jetzt fürchtet er sich auch wieder vor dem Unbekannten. Er weiß, daß ich ihn schlagen werde. Sogar hier noch fürchtet er den Tod, das sollt ihr wissen! Der Tod war für ihn schon immer der größte Schrecken. Und warum? Weil das seinen Stolz beleidigt? Ja, ich denke, das ist es. Er ist zu stolz zu sterben – zu sehr voller hochmütigem Stolz, um den Beschluß der Götter hinzunehmen…«
    »Ich werde dich mit meinen bloßen Händen zerreißen!« brüllte Gilgamesch.
    »Man gebe uns Disruptoren«, rief Enkidu. »Dann wollen wir sehen, ob er sich zutraut, eine solche Waffe in die Hand zu nehmen.«
    »Die Waffe von Feiglingen!«
    »Nennst du mich noch einmal feige? Du, Gilgamesch, du bist es, der vor Furcht bebt…«
    »Meine Herren, bitte! Gentlemen!«
    »Du fürchtest dich vor meiner Kraft, Enkidu!«
    »Du fürchtest dich vor meiner Geschicklichkeit. Du – mit deinem kläglichen alten Schwert, mit deinem erbärmlichen alten Bogen…«
    »Ist das der Enkidu, den ich liebte, der mich jetzt so verhöhnt?«
    »Du hast mich zuerst verhöhnt, als du mir die Waffe hingeworfen hast, mein Geschenk verächtlich verschmäht hast und mich feige nanntest!«
    »Die Waffe, sagte ich, ist feige. Nicht du, Enkidu.«
    »Es war ein und dasselbe.«
    »Bitte, bitte, so geht das nicht«, sagte Dr. Schweitzer.
    Und von Hemingway wieder: »Gentlemen, please!«
    Sie achteten nicht darauf.
    »Ich meinte nur…«
    »Du sagtest…«
    »Schmach…«
    »Furcht…«
    »Ein dreifacher Feigling!«
    »Ein fünffacher Verräter!«
    »Treuloser Freund!«
    »Eitler Prahlkropf!«
    »Meine Herren, ich muß doch sehr bitten!«
    Aber so laut und kräftig die Stimme von Ernest Hemingway sein mochte, das Brüllen, das aus der Kehle Gilgameschs wütend hervorbrach, übertönte ihn. In Gilgameschs Brust, in seiner Kehle, in seinen Schläfen hämmerte es laut und betäubend. Es war mehr, als er ertragen konnte. Es war genau wie damals, als ihr erster Zwist ausgebrochen war, als Enkidu mit diesem Schießgewehr zu ihm gekommen war, und er hatte es zurückgewiesen, und sie hatten zu zanken begonnen. Zu Beginn war es nur eine Meinungsverschiedenheit gewesen, dann wurde es ein heißer Streit, dann ein zänkisches Zerwürfnis voller scharfer ätzender gegenseitiger Beschuldigungen. Und dann waren Worte voll Wut zwischen ihnen gewechselt worden wie niemals zuvor zwischen ihnen, die doch intimer waren miteinander als Brüder.
    Sie hatten sich nicht zu Handgreiflichkeiten hinreißen lassen, damals. Enkidu war einfach stolz davongestapft, hatte ihre Freundschaft für beendet erklärt. Aber jetzt – die gleichen Worte wieder zu hören – in die Enge getrieben wegen der Wahl der Waffen, mit denen sie gegeneinander kämpfen sollten –, vermochte Gilgamesch sich nicht länger in Zaum zu halten. Von Zorn und Enttäuschung übermannt, stürzte er vorwärts.
    Enkidu erwartete ihn mit funkelnden Augen.
    Hemingway machte den Versuch, zwischen sie zu treten. Doch so massiv er auch war, neben Gilgamesch und Enkidu wirkte er wie ein Kind, und sie schoben ihn mühelos beiseite. Mit einem Satz, der den Boden erzittern ließ, sprang Gilgamesch auf Enkidu zu und packte ihn mit beiden Händen.
    Enkidu lachte. »Es soll also doch wieder nach deinem Kopf gehen, König Gilgamesch! Also mit bloßen Fäusten!«
    »Es ist die einzige anständige Art. Bist du zum Kampf bereit?«
    »Ich brenne darauf zu kämpfen, König Gilgamesch!«
    Gilgamesch nickte. Endlich! Endlich! Die Wut, die schäumend in ihm tobte, würde ins Freie brechen können. Es gab in dieser und auch in der anderen Welt keinen Ringer, der sich mit Gilgamesch von Uruk messen konnte. Ich will ihn entzweibrechen, so wie er unsere Freundschaft zerbrochen hat. Ich werde ihm das Rückgrat zerreißen. Ich werde ihm die Brust zerquetschen. Er sammelte alle seine Kräfte und drückte und fühlte Enkidus Widerstreben wie von einer Mauer in der Hand, und er preßte erneut. Und wieder stieß er auf diesen Widerstand. Und

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