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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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erneut nahm er seine Kräfte zusammen.
    Wie einst vor langer Zeit kämpften sie wie rasende Stiere. Sie glosten sich mit wütenden Augen an. Sie grunzten, schnaubten, brüllten. Gilgamesch schrie in der Sprache von Uruk und allen anderen Sprachen, die ihm einfielen, scharfe Herausforderungen; und Enkidu knurrte und fauchte ihm in der Sprache der Tiere ins Gesicht zurück, die einst sein Ausdrucksmittel gewesen war, als er noch ein Wilder war, mit dem heiseren Brüllen des Steppenlöwen.
    Rasende Wut beherrschte nun beide. Gilgamesch verlangte es nach Enkidus Leben. Er liebte diesen Mann mehr als das Leben selbst, und dennoch betete er darum, daß es ihm vergönnt sein möge, Enkidus Rücken zu zerbrechen, das scharfe Knacken hören zu dürfen, wenn ihm die Wirbel zersplitterten, den Leib von sich zu schleudern wie einen alten abgetragenen Mantel. So stark war seine Liebe, daß sie sich in den glühendsten Haß verwandeln konnte. Ich werde ihn in die Finsternis und das Vergessen stürzen, dachte Gilgamesch. Ich werde ihn aus der Nachwelt hinausschleudern.
    Doch obwohl er kämpfte wie nie zuvor in einem Zweikampf, er vermochte Enkidu nicht zu bewegen. Die Adern auf seiner Stirn schwollen an, die Nähte an seiner Armwunde barsten und das Blut floß ihm den Arm hinab; aber er rang weiter und wollte Enkidu zu Boden werfen, aber Enkidu hielt ihm immer noch stand. Und war ihm an Stärke gewachsen und konterte jeden Griff mit gleicher Kraft. Und so standen sie lange ineinander verschlungen da, starrten einander in die Augen, verfangen in einem nicht zu durchbrechenden Patt.
    Und dann, viel, viel später, grinste Enkidu wild, und der harte Ringergriff verwandelte sich – behutsam, aber unmißverständlich in die warme Umarmung eines unverbrüchlichen Freundes. Und Enkidu sagte, wie er dies einst vor langer Zeit gesagt hatte: »Ach, mein Gilgamesch! Es gibt nicht einen deinesgleichen auf der ganzen Welt! Preis der Mutter, die dich getragen hat!«
    Es war, als wäre ein Damm gebrochen, als stürzten die lebenspendenden Wasser wieder über die von der Sommerglut ausgebrannten Gefilde des Landes.
    Auch Gilgamesch lockerte und veränderte seinen Griff. Und auch aus ihm kamen in diesem gesegneten Augenblick der Preisgabe und Erlösung Worte, wie sie schon zweimal gesprochen worden waren:
    »Es gibt einen, der mir gleicht. Aber nur einen.«
    »Nein. Denn dir hat Enlil das Königtum gegeben.«
    »Doch du bist mein Bruder«, sagte Gilgamesch, und sie lachten und gaben einander frei aus ihrer Umarmung und traten zurück, als betrachteten sie sich zum erstenmal, und dann lachten sie erneut laut, und jene, die im Kreis um sie herumstanden, schienen sich in Dunst aufzulösen und aus ihrer Sicht zu verschwinden, so daß es in der ganzen Welt nur Gilgamesch und Enkidu und Enkidu und Gilgamesch gab.
    »Das ist eine große Torheit«, sagte Enkidu leise, »dieser Kampf zwischen uns.«
    »Wahrhaftig, eine ganz gewaltige Torheit, Bruder.«
    »Wozu braucht man schon Waffen und Disruptoren.«
    »Und warum sollte es mich ärgern, wenn es dir Spaß macht, mit derlei Spielzeug herumzuhantieren?«
    »Wahrhaftig, Bruder.«
    »Ja, wahrhaftig.«
    Gilgamesch blickte sich um. Alle waren verstummt und starrten zu ihnen herüber – die vier Parteibonzen, Lovecraft, Howard, der Haarmensch, Kublai Khan, Hemingway… alle verblüfft und mit offenen Mäulern, wie in einer Betäubungsstarre gefangen. Nur dieser Dr. Schweitzer schien die Bedeutung dieses Moments begriffen zu haben. Er strahlte sie herzlich an. Er kam zu ihnen herüber, spähte zu ihnen herauf und sagte gelassen: »Ihr habt einander nicht verletzt? Gut, sehr gut. Aber dann müßt ihr jetzt gehen. Geht von hier fort, ihr zwei. Gemeinsam! Jetzt! Ihr habt einander gefunden – ihr müßt einander festhalten. Was geht euch der Priester Johannes an und seine Kriege? Oder Mao und seine? Das ist nicht eure Sache. Geht schon. Geht!«
    Enkidu grinste. »Was hältst du davon, Bruder? Ziehen wir los und jagen zusammen?«
    »Bis ans Ende des Outback und wieder zurück! Du und ich, und sonst keiner!«
    »Und wir jagen nur mit unseren Bogen und den Speeren?«
    Gilgamesch zuckte die Achseln. »Mit Disruptoren, wenn du es so haben willst. Mit Kanonen. Mit Nuklearsprengköpfen, wenn du das so haben willst. Ach, Enkidu, Enkidu…«
    »Gilgamesch!«
    »Geht schon!« flüsterte Schweitzer. »Los jetzt! Verschwindet von hier und seht euch nicht um! Auf Wiedersehen! Glückliche Fahrt! In Gottes Namen, geht!

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