Das Land der MacKenzies
maßlos bewundert. Das Kätzchen hatte sich immer für einen Tiger gehalten, und weil es sich wie ein Tiger aufführte, waren die Leute respektvoll vor ihm zurückgewichen.
Doch jetzt ... sie war nicht länger unbesiegbar. Er erkannte diese erschreckende Verletzlichkeit in ihren Augen, und er wusste, sie würde diese Augenblicke der Hilflosigkeit nie vergessen können. Dieser Abschaum hatte sie verletzt, erniedrigt und buchstäblich in den Schmutz gezogen.
„Weißt du, was das Schlimmste für mich war?“, fragte sie nach einer langen Zeit.
„Was?“
„Ich wollte, dass das erste Mal mit dir ist, und er ...“ Sie konnte den Satz nicht zu Ende sprechen.
„Aber er hat es nicht getan.“
„Nein. Er riss und zerrte an meinem Rock, als Clay ... ich glaube, Clay hat geschrien. Vielleicht hat er auch einen Schuss abgefeuert. Ich erinnere mich an ein lautes Rauschen, aber ich dachte, das sei Donner.“
Ihre tonlose Stimme beunruhigte ihn. Sie stand unter Schock. „Ich lasse nicht zu, dass er sich dir noch einmal nähert. Ich gebe dir mein Wort darauf.“
Sie nickte und schloss ihre Augen.
„Du wirst dich jetzt unter die Dusche stellen.“ Wolf zog sie sanft auf die Füße. „Eine lange, heiße Dusche. In der Zeit werde ich dir etwas zu essen machen. Worauf hast du Appetit?“
Der Gedanke an Essen verursachte ihr Übelkeit. „Nur Tee.“
Er ging mit ihr nach oben. Sie hielt sich gerade, doch er hatte den sicheren Eindruck, dass ihre gefasste Haltung jederzeit schwinden konnte. Er wünschte, sie würde schreien, weinen, irgendeine Reaktion zeigen, die die Hochspannung brechen würde, die Mary gefangen hielt.
„Ich möchte nur eben mein Nachthemd holen. Du hast doch nichts dagegen, dass ich es hole?“ Sie klang nervös, als habe sie Angst, zu viel zu verlangen.
„Nein.“ Er streckte den Arm aus, wollte sie berühren, doch er ließ die Hand wieder sinken. Vielleicht wollte sie nicht, dass irgendjemand sie berührte. Vielleicht würde sie seine Berührung und die eines jeden anderen Mannes von jetzt an als ekelerregend empfinden.
Mary holte ihr Nachthemd und stand verloren in dem altmodischen Badezimmer, während Wolf das Wasser anstellte. „Ich bin unten“, sagte er, als er sich wieder aufrichtete. „Schließ die Tür nicht ab.“
„Warum nicht?“ Ihre Augen waren groß und ernst. „Falls du ohnmächtig werden solltest und Hilfe brauchst.“
„Ich werde nicht ohnmächtig."
Er lächelte schwach. Nein, Miss Mary Elizabeth Potter würde sich diese Schwäche nicht erlauben. Vielleicht war es nicht die Anspannung, die sie so gerade hielt, sondern ihr eisernes Rückgrat.
Er wusste, viel würde sie nicht essen, trotzdem wärmte er eine Dosensuppe auf. Als Mary in die Küche kam, war die Suppe heiß und der Tee frisch aufgebrüht.
Sie hatte nicht daran gedacht, einen Morgenmantel überzuziehen. In dem schlichten weißen Nachthemd sah sie tugendhaft und bieder aus, und doch wurde Wolf warm bei dem Anblick. Er fluchte unter angehaltenem Atem, als sie sich, brav wie ein folgsames Kind, an den Tisch setzte. Jetzt war wahrlich nicht der Zeitpunkt für lustvolle Gefühle, doch auch wenn er sich das sagte, es änderte nichts. Er wollte sie, er begehrte sie, egal zu welcher Zeit.
Sie aß die Suppe mit mechanischen Bewegungen, trank ihren Tee, dankte Wolf für die Mühe, die er sich gemacht hatte. Wolf räumte den Tisch ab und spülte das wenige Geschirr. Währenddessen saß Mary regungslos da, die Hände im Schoß verschränkt, und starrte mit leerem Blick vor sich hin. Wolf hielt es keine Sekunde länger aus. Mit wenigen Schritten war er bei ihr, hob sie hoch und setzte sich mit ihr auf dem Schoß auf den Stuhl. Zuerst versteifte sie sich, doch dann seufzte sie und lehnte den Kopf an seine Brust. „Ich hatte solche Angst."
„Ich weiß, Liebes."
„Wie kannst du das wissen? Du bist ein Mann.“ Ihr Widerstand klang schwach.
„Ja, aber ich war im Gefängnis. Du erinnerst dich?“ Er fragte sich, ob sie wusste, wovon er sprach. Sie runzelte die Stirn.
„Oh“, sagte sie dann. „Wenn dich jemand verletzt hat ...“
„Moment! Nein, ich wurde nicht angegriffen. Ich bin ein guter Kämpfer, das wussten alle.“ Er erzählte ihr nicht, wie er diesen Ruf gefestigt hatte. „Aber es passierte anderen Gefangenen, und ich wusste, dass mir das auch jederzeit blühen konnte. Ich war immer auf der Hut.“ Er hatte nur kurze Nickerchen gemacht, mit einem Messer in der Hand, das er sich aus einem angespitzten
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