Das Land der Pelze
das Unglück wollte, daß sie noch mehrere hundert Meilen nach Norden hinauf getrieben wurden, so wuchsen auch die Mühen und Gefahren einer weiteren Seefahrt auf dem doch verhältnißmäßig beschränkten Schiffchen.
Zum Unglück ging den Ueberwinternden jetzt jedes Mittel ab, den Umfang und die Natur der sich vollziehenden Ortsveränderung abzuschätzen. Sie vermochten nur zu constatiren, daß die Insel sich noch nicht bewegte, mindestens nicht in dem Sinne der Schollenwand, da sich diese merklich entfernte. Man gelangte also zu der Annahme, daß ein Theil des Eisfeldes sich losgetrennt habe und wieder nach Norden hinauf treibe, während der Theil, welcher der Insel unmittelbar anlag, noch unbeweglich bleibe.
Auch diese Abweichung der hohen Eisbarrière war nicht im Stande, Kalumah’s Ansichten zu modificiren. Sie behauptete immer wieder, daß der Eisbruch von Norden nach Süden zu erfolge und daß auch das Packeis in nicht zu ferner Zeit dem Einflusse des Behrings-Stromes unterliegen werde. Um sich verständlicher zu machen, zeichnete die junge Eingeborene die Umrisse der Meerenge mittels eines Stäbchens in den Sand und suchte zu beweisen, daß die Insel sich der amerikanischen Küste werde nähern müssen. Hierin konnte sie kein Widerspruch beirren, und man fühlte sich fast beruhigter, wenn man sie ihre Sache mit solcher Sicherheit vertheidigen hörte.
Die nächsten Tage jedoch schienen Kalumah allerdings Unrecht zu geben. Immer weiter und weiter verschwand der bewegliche Theil der Eismauer nach Norden zu. Der Aufbruch des Meeres ging mit furchtbarem Getöse vor sich, und längs der ganzen Insel lösten sich die Massen unter betäubendem Lärm, der es unmöglich machte, sich in freier Luft gegenseitig zu hören; so krachte es mit der Gewalt eines unausgesetzten Kanonendonners rings umher. Eine halbe Meile um Cap Bathurst herum schoben sich die Schollen drohend über einander. Die Packeiswand hatte sich in zahlreiche Stücke zertheilt, die als ebenso viele Eisberge umhertrieben. Ohne es laut werden zu lassen, war Lieutenant Hobson doch sehr beunruhigt, so daß auch Kalumah’s Versicherungen ihm nicht mehr genügten, trotzdem diese seine Einwürfe nie unerwidert ließ.
Am Morgen des 11. April wies Lieutenant Hobson Kalumah die letzten Eisberge, welche im Norden verschwanden, und suchte ihr zu beweisen, daß ihre Ansichten doch nicht verläßlich seien.
»Und doch, nein, nein! rief diese mit überzeugterem Tone als je vorher, nein! Die Schollenwand zieht nicht nach Norden, aber unsere Insel treibt nach Süden!«
Vielleicht hatte Kalumah Recht, wenigstens war Jasper Hobson von dieser unerwarteten Antwort betroffen. Wirklich konnte ja das Verschwinden des Packeises nur ein scheinbares sein, während vielmehr die Insel Victoria schon nach der Meerenge getrieben wurde. Auch diesen Fall angenommen, wie sollte man jetzt die Richtung und Größe der Bewegung, ohne Aufnahme der Länge und Breite, abschätzen?
In der That dauerte die bedeckte und zu Beobachtungen ungeeignete Witterung nicht nur weiter an, sondern sie wurde sogar durch ein in den Polargegenden eigenthümliches Phänomen noch dunkler und im Gesichtskreise beschränkter.
Zusammenfallend mit dem Anfange des Thauwetters hatte sich die Temperatur nämlich um mehrere Grade erniedrigt. Ein dichter Nebel verhüllte bald diese Theile des Arktischen Meeres, doch war das kein gewöhnlicher Nebel. Der Boden überzog sich mit einer von dem eigentlichen Eise ganz verschiedenen weißen Kruste, die nur aus wässerigen, nach erfolgtem Niederschlage gefrierenden Dünsten bestand. Die losen Theilchen dieses Nebels hingen sich an die Bäume, Sträucher, an die Mauern des Forts, überhaupt an alles Hervorspringende in dicker Lage an, aus der nur lange Fasern heraus traten, die der Wind hin und her bewegte.
Jasper Hobson erkannte diese Erscheinung, von deren Auftreten im Frühlinge die Walfänger und Ueberwinternden nicht selten berichten, sehr bald.
»Das ist kein Nebel, sagte er zu seinen Leuten, das ist ein ›Frost-rime‹, ein Rauchfrost, ein dichter Dunst im Zustande der Erstarrung.«
Ob Nebel oder Rauchfrost, jedenfalls war das Auftreten dieser Erscheinung nicht minder bedauerlich, denn jener stieg bis zu einer Höhe von wenigstens hundert Fuß über die Meeresfläche an, und seine Undurchsichtigkeit machte das Erkennen von Personen schon auf drei Schritte Entfernung unmöglich.
Wie sehr verstimmte das die Bewohner der Colonie, denen die Natur keine Prüfung
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