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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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in seinem kleinen, schmutzigen Gesicht spiegelte sich ihre Beunruhigung.
    »Schaut weg, Euer Gnaden, und wir werden einfach weitergehen, als wäre es gar nicht da!«, sagte Tom, aber seine falsche Fröhlichkeit klang sogar für ein Kind hohl. Vergeblich versuchte er, ihr Gesicht von dem Kreis wegzudrehen.
    »Es ist dort!«, schrie Stephanie. »Es ist dort! Ich will nach Hause! Ich will meine Nana!«
    Und dann kam ein Strom von Tränen, der umso größer war, weil sie ihn so lange zurückgehalten hatte. Toms Gesicht versteinerte sich. »Die Waffen einer Frau«, hatte er einst die Tränen einer seiner Bettgefährtinnen genannt, Agnes oder Joan oder Betsy oder Annie. Dachte er das auch von der kleinen Prinzessin, die nur sechs Jahre alt war? Aber ich war zu müde, um die Winkel von Tom Jenkins’ Verstand zu erforschen; mein einziger Gedanke war, Abstand zwischen uns und den Kreis zu bringen. Tom würde diese Toten nicht an einen Baum binden.
    »Trag Stephanie, Tom«, sagte ich. »Wir müssen weiter.«
    »Ich kann nicht mehr«, sagte er.
    Nie zuvor hatte ich Tom Jenkins sagen hören, dass er etwas nicht konnte.
    »Ich muss ein klein wenig rasten«, sagte er. »Ich bin kein Ochse, Roger. Auch wenn du mich für einen hältst. Der starke, dumme Tom, der tut, was du sagst.«
    »So denke ich nicht von dir«, log ich.
    »Es spielt keine Rolle. Aber ich muss schlafen, und das werde ich. Dort drüben.«
    Er machte sich auf den Weg um den Hügel herum, wo er den Kreis der Toten nicht sehen würde. Ich verbiss mir eine scharfe Erwiderung. Die Erschöpfung hatte uns streitlustig gemacht, aber ich konnte mir keinen Streit mit Tom leisten. Wir brauchten ihn zu sehr. Ich schluckte meinen eigenen Groll hinunter– wenn er es schwer fand, mir zu folgen, sollte er doch versuchen, diesen armseligen Haufen zu führen– und folgte Tom; die schluchzende Stephanie schleifte ich hinterher.
    Wir legten uns alle hin. Sofort überkam mich Erschöpfung. Ich sagte zu Jee: »Kannst du über Ihre Gnaden wachen, Jee?«
    »Ja«, sagte er fest. Auch wenn ich sah, dass er ebenfalls müde war, und auch wenn er ein Kind war, ließ ich zu, dass er es tat. Ich streckte mich abseits von Tom auf dem Boden aus, der sogar im Schlaf die Waffen dicht bei sich hielt, die er den Toten gestohlen hatte: zwei Speere, ein Bogen, ein Köcher mit Pfeilen, die von verschiedenen Händen hergestellt worden waren, einen Schild, ein Gewehr. Außerdem hatte er eines seiner eigenen Messer in der Hand. Innerhalb weniger Augenblicke schlief ich, den tiefen und leeren Schlaf, den überraschenderweise nichts mehr gestört hatte, seit wir den Pfad der Seelen ins Land der Toten betreten hatten.
    Und dann träumte Stephanie.
    Es war ihr Kreischen, das mich weckte, aber es war Jee, der schlafend dalag– nein, nicht schlafend. Ich sprang auf und lief zu ihm. Kein Atem kam über seine Lippen.
    »Jee!«
    »Sie ist gekommen!«, schrie Stephanie. »Das böse Mädchen, und sie will, dass ich hierbleibe.«
    »Jee!«
    Ich packte seinen schmalen Körper und schüttelte ihn. Jee ließ ein einzelnes, schweres Keuchen hören und wurde dann wieder schlaff. Er war noch nicht tot, aber er würde es bald sein, sie tötete ihn.
    Ich ließ Jee fallen, hob meine heile Hand und gab Stephanie einen Schlag auf den Kopf.
    Sie fiel zu Boden, ehe sich auf ihrem kleinen Gesicht auch nur Überraschung abzeichnen konnte. Tom schrie auf, und im nächsten Augenblick lag ich flach neben der Prinzessin, Toms Messer am Hals. In seinen Augen glitzerten Zorn, Überraschung, instinktive Verteidigung seiner Herrscherin.
    »Tom, ist Jee am Leben?«
    Verwirrung wischte alles andere fort. »Jee? Du hast dich doch auf die…«
    »Sie will ihn töten! Mit ihrem Traum!« Es war nicht Stephanie, die ich meinte, aber selbst wenn Tom es nicht verstand, wandte er sich zu Jee um.
    »Lass mich aufstehen!«
    Tom tat es, aber nicht um meinetwillen. Einen Augenblick später kniete er zwischen den Kindern. Ich kniff die Augen fest zu, voll plötzlicher Furcht vor dem, was meine Schwester getan hatte, was ich selbst getan hatte…
    Ein tiefes, abgehacktes Keuchen und dann ein rauer Schrei aus einem Hals, der zerschunden und vernarbt war. Aber Jee lebte.
    Und Stephanie?
    »Sie atmet«, sagte Tom grimmig. »Aber sie ist nicht bei Sinnen. Hast du es getan, um ihren Traum davon abzuhalten, Jee umzubringen?«
    »Wie Lady Margaret. Wie ihre Amme.« Ich konnte Toms Messer noch spüren, und ich legte die Hand an den Hals. Sie war blutig, als

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