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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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Zittern der ganz Alten, sondern als würde eine fremde Macht ihre unwilligen Beine bewegen. Ihre Arme baumelten locker an den Seiten herab. Ihr Gesicht war ruhig.
    Tom griff nach dem Bogen und den Pfeilen, die er dem Soldaten der Wilden gestohlen hatte.
    »Nein!«, sagte ich. »Sie ist nicht gefährlich, sie ist…« Was? Tot. Sie hätte tot sein sollen. Die Toten benahmen sich nicht so. »Bleibt hier, ihr alle.«
    Das taten sie natürlich nicht. Jee blieb bei Stephanie, aber Tom folgte mir, während ich der Toten folgte. Sie schlurfte mit diesem zuckenden Gang über den Hügel und tauchte in den Wald ein. Es gab dort keinen Pfad. Sie stolperte in gerader Linie durchs Unterholz, über einen flachen Bach unter einer Ansammlung hoher Kiefern. Wenn sie hinfiel, richtete sie sich wieder auf. Die Stürze zerrissen ihr Kleid nicht und zerkratzen ihr auch nicht das Gesicht.
    Nach etwa einer halben Meile stieß sie auf eine Gruppe von Toten. Sie saßen in einem Kreis, zu siebt. Ehe sie die achte werden konnte, packte ich sie mit meiner einen heilen Hand, drehte ihr Gesicht von dem Kreis weg und schüttelte sie hart.
    »Gevatterin! Gevatterin!«
    Langsam wurde ihr Blick scharf, und hinter mir hörte ich Tom scharf Luft holen. Er hatte das noch nie gesehen. Aber es sind immer die alten Frauen, die am ehesten mit mir sprechen wollen.
    »Was willst du, Junge?« Sie sprach Tarekisch, und ich wechselte in diese kehlige Sprache.
    »Wohin geht Ihr?«
    Verblüffung trat in ihre wässrigen blauen Augen. Sie blickte mich an, dann die Landschaft, dann den unbestimmbar grauen Himmel. »Ich bin tot.«
    »Ja. Wo geht Ihr hin?«
    »Nirgendwohin. Wohin sollte eine Tote gehen? Ich bin hier.«
    Tom fragte: »Was sagt sie?«
    Sie drehte sich nach seiner Stimme um und sah den Kreis der Toten. Ihre Verblüffung vertiefte sich.
    Ich fragte zum dritten Mal: »Wohin geht Ihr?« Mein Magen verkrampfte sich. Wenn sie es mir tatsächlich sagen könnte…
    Aber das konnte sie nicht. Alte Frauen aus den Bergen der Wilden unterschieden sich nicht von alten Frauen aus dem Königinnenreich. Wenn ich über ihre Kindheit hätte sprechen wollen, hätte sie vielleicht mitgemacht. Aber die Toten sind nicht daran interessiert, über die Gegenwart zu sprechen, nicht einmal über ihre eigene Gegenwart. Das Gesicht der alten Frau glitt wieder in den Ruhezustand hinüber, während ihre Füße versuchten, auf den Kreis zuzugehen.
    »Tom«, sagte ich, »binde sie an den Baum dort drüben. Fest genug, dass sie nicht fliehen kann.«
    »Sie festbinden? Eine tote Frau?«
    »Ja. Reiß einen Streifen unten von ihrem Kleid ab, wenn du nichts anderes hast.«
    »Aber warum, Roger? Sie kann uns nichts tun!«
    »Sie kann sich selbst etwas tun.«
    Tom pflanzte sich vor mir auf, die Alte stand zwischen uns. Ihre Füße bewegten sich immer weiter, obwohl meine eine Hand ihren zerbrechlichen Körper mühelos zurückhalten konnte. Tom sagte, wie er es schon einmal gesagt hatte: »Ich tue nichts mehr ohne Antworten, Roger. Sag mir, was los ist.«
    Ich blickte in sein verstörtes Gesicht. Er meinte es ernst. Er würde keine weiteren Befehle mehr befolgen, wenn er keine weiteren Auskünfte bekam. Obwohl ich bezweifelte, dass er meine Antworten akzeptieren konnte oder sie auch nur glaubte oder davon beruhigt wurde.
    »Das Seelenrankenmoor führt einen Krieg gegen uns übrige, Tom. Gegen das Königinnenreich und die Unbeanspruchten Lande und Tareks Königreich. Das ist der wahre Krieg, nicht eine Rebellion gegen die Herrschaft der Wilden. Der Krieg wird sowohl im Land der Lebenden als auch im Land der Toten ausgetragen. Das Seelenrankenmoor will die Barriere zwischen den beiden Reichen einreißen und die Macht des Todes für sich selbst nutzen, damit sie ewig leben können.«
    In Toms Gesicht blitzten etliche Empfindungen auf, und schließlich lief es auf Mitleid hinaus.
    »Roger«, sagte er sanft, »das ergibt keinen Sinn. Wie kann der Tod Macht haben? Da, diese Frau ist tot, und schau sie dir an! Ein schlaffer Lumpen, der nirgendwo hingehen kann.«
    Die Füße der alten Frau bewegten sich weiter, ihre bloßen Zehen streiften meine Stiefel. Ich wollte sie dazu bringen, dass sie aufhörte, ich wollte Tom dazu bringen, dass er verstand; ich wollte aufhören zu erklären, was er nie verstehen konnte. Ich war erschöpft und verärgert und verängstigt.
    »Das ist das Beste, was ich dir bieten kann«, fuhr ich ihn an. »Glaube es oder nicht, wie du willst. Aber dieser Krieg ist der Grund,

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