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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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Tote hatte ich aufgestört! Alles alte Leute, denn die Alten kann man aus ihrem tiefen Dämmerzustand aufrütteln; vielleicht leben nur sie lange genug, um sich Erinnerungen an das Leben zu erhalten. Die Toten warten, denke ich, aber weder ich noch sonst jemand weiß, worauf. Aber ich konnte mich auch irren. Vielleicht warteten sie gar nicht. Vielleicht war diese reglose Ruhe auch einfach das, was man erreichte, wenn man sein Leben gelebt hatte.
    So malte ich es mir gerne aus. Es würde bedeuten, dass ich Cecilia doch gar nicht so viel geraubt hatte. Cecilia und all den anderen, die ich aus jenem fernen Land zurück ins Leben gebracht hatte, nur um zu erreichen, dass sie nun an keinem der beiden Orte mehr existierten und es auch nie wieder tun würden. Das war die endlose Qual, die meine Gedanken belastete. Nicht dass Cecilia gestorben war, sondern dass sie meinetwegen nicht unter den Toten weilte. Aber wenn der Tod nichts mehr war als diese starre Stille, dann hatte ich ihr nichts genommen, was so wertvoll war, dass man es besitzen musste.
    Es war Maggie, der ich alles genommen hatte, was sie wollte.
    Aber Maggie mitzunehmen, hätte bedeutet, eine weitere Frau der Gefahr auszusetzen. Ich hatte richtig gehandelt, als ich Maggie zurückgelassen hatte. Aber sie war anderer Ansicht, und selbst für mich war der Gedanke nur ein schwacher Trost. Ich wollte mehr als das, und niemand außer meiner Mutter konnte es mir geben. Ich erinnerte mich an sie, in ihrem lavendelblauen Kleid, wie sie mich auf den Knien gehalten und mir vorgesungen hatte. Lavendelblaue Bänder im Haar. Ich erinnerte mich an ihren Geruch und ihre hellen Augen und ihre sanfte Berührung.
    »Tot seit elf Jahren.«
    Nein. Die Frau in meinem monströsen Traum war nicht meine Mutter. Meine Mutter hatte keine Krone getragen, war nirgendwo Königin gewesen. Und die Stimme in meinem Traum war heller als die meiner Mutter, hatte eine höhere Lage. Es war auch nicht die Stimme von Königin Caroline, die ohnehin erst seit zweieinhalb Jahren tot war und die ich zuletzt still und reglos im Land der Toten gesehen hatte. Nein, diese Frau war nur ein schlechter Traum, etwas Unwirkliches, das aus Luft und qualvollen Erinnerungen entstanden war, weder in diesem Land noch in jenem anderen wirklich. Nur ein Traum.
    Schließlich schlief ich ein. Nur ein paar Minuten später, wie es mir schien, wurde ich von einem Tritt in die Rippen geweckt. Um mich schlagend, weil ich mich umdrehen wollte, aber in meine Decke verstrickt war, kam ich zu mir und blinzelte im frühen Sonnenlicht, um zwei Krieger über mir stehen zu sehen, die kurze Messer gezogen und auf meinen Hals gerichtet hatten.
    »Aleyk ta nodrie!«
    »Hent!«
    Ich wehrte mich, aber es brachte mir nichts. Einer der Wilden riss mich auf die Füße und umklammerte von hinten meine Arme. Der andere starrte mir ins Gesicht, als wollte er entscheiden, wer ich war. Ich hatte keine Ahnung, wer er war– nur dass er ein Soldat in der Armee des Junghäuptlings war. Er trug ihre zottige Felltunika mit dem Ledergürtel und Schuhe mit metallenen Kappen. In seinem langen, zu Zöpfen geflochtenen Haar steckten keine Federn, und er trug auch keinen kurzen Federumhang, also war er kein Offizier. Irgendeine Art Späher vielleicht. Wie bei den meisten von ihnen waren seine Augen blau, nicht das leuchtende Blau wie ein Bruchstück des Himmels, das Solek zu eigen gewesen war, sondern eher ein mattes Blaugrau. Im Palast hatte ich ein wenig von ihrer kehligen Sprache gelernt, aber nicht die Worte, die sie bisher von sich gegeben hatten. Aber ich verstand den nächsten Wortwechsel.
    »Mit?« Er?
    »Tento.« Ich weiß nicht.
    »Jun fie kal.«
    Das Letzte verstand ich nicht. Man musste allerdings keine Sprachkenntnisse besitzen, um die Hände zu verstehen, die grob über meinen Körper und durch mein Gepäck wanderten. Sie nahmen das große Jagdmesser, ließen mir aber das kleine Rasiermesser im Stiefel. Sie schoben mich vorwärts, und wir machten uns auf den Weg, fort von der Wiese und den Hang hinab.
    Ich war ein Gefangener. Aber bisher hatte man mir noch nichts angetan. Offenbar waren sich die Wilden nicht sicher, wer ich war. In zweieinhalb Jahren hatte ich mich verändert: mein Körper war fülliger geworden, mein Gesicht hager und sonnengebräunt, ich hatte mir einen Bart wachsen lassen, eine Hand verloren. Sie waren nicht sicher, wer ich war. Verzweifelt klammerte ich mich daran, denn es gab nicht viel anderes, an das ich mich hätte

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