Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
waren, um nicht mehr gesehen zu werden, hielt Jee an und fragte: »Wohin gehen wir?«
Eine sinnvolle Frage. Das Kind sah mich erwartungsvoll an, und mit einem gewissen Stolz. Jee, der Schlingenleger und Beerensammler, kannte das Land im weiten Umkreis. Was immer ich als Ziel für uns festlegte, Jee wusste, dass er uns hinführen konnte.
Ich hoffte, dass Maggie ihren Wochenvorrat an verletzter Empörung schon aufgebraucht hatte. Aber ich bezweifelte es. Ich sagte: »Wir halten auf die Hauptstadt zu, Jee. Aber nicht am Fluss entlang.« Am Fluss entlang führten Straßen, lagen Dörfer, marschierten Armeen.
Maggie sagte: »In Richtung Gloria? Aber dorthin wird doch die Armee der Wilden ziehen, um sich die Prinzessin zu holen!«
»Wir gehen nicht direkt nach Gloria, Maggie. Nur in die Nähe.«
Nun war sie argwöhnisch. »Wohin in die Nähe?«
Es ließ sich nicht ändern. Ich würde sie nicht anlügen. »Nach Gerbbrunn.«
»Du… du willst mich und Jee bei meiner Schwester lassen?«
Ich sagte nichts.
»Meine elende Pisspott-Schwester, die mich wie eine Sklavin halten wird, und Jee wie einen Hund.«
Beim Wort »Hund« wedelte Schatten mit dem Schwanz.
»Nein«, sagte Maggie.
Unwillkürlich war ich beeindruckt. Kein Streit, kein verkniffenes Gesicht, keine verletzten Tränen. Nur ein einfaches Nein, glatt und hart wie der Stein, der auf unerklärliche Weise unseren Kamin herabgefallen war. Ich sagte nichts.
»Wir können nach Süden reisen, uns in den Hügeln und Wäldern halten«, sagte Maggie, »und auf diesem Umweg trotzdem in die Unbeanspruchten Lande gelangen. Uns in irgendeinem rauen Bauerndorf an der Grenze zwischen dem Königinnenreich und den Unbeanspruchten Landen niederlassen– das wäre das Sicherste. Wir können als Knechte arbeiten, bis wir wieder von vorn anfangen. Jee, geh voraus.«
Jee blickte von Maggie zu mir und wieder zurück. Still nahm er sein Gepäck auf und führte uns. Maggie folgte ihm, ich folgte ihr und Schatten folgte mir. Für den Augenblick.
Wanderschaft im frühen Sommer: Lange Tage, in denen man unter der heißen Sonne wandert, kurze Nächte, in denen man vor Erschöpfung tief schläft. Wir gingen Dörfern aus dem Weg, wenn wir keine Vorräte brauchten, und wenn doch, schickten wir Jee vor, um sie zu kaufen, begleitet von Schatten. Aber wir mussten nur sehr wenig kaufen. Jee legte jeden Abend Schlingen für Kaninchen aus. Auch Schatten jagte kleine Tiere und legte sie überraschenderweise unangetastet mir zu Füßen. Das sorgte dafür, dass Maggie ihn ins Herz schloss, die ein wildes Rebhuhn schneller als jeder in Apfelbrück rupfen konnte. Einmal brachte Schatten ein Spanferkel, das er irgendeinem Bauern aus der Suhle gestohlen hatte. Maggie wies ihn zurecht, aber ich glaube, sogar ein Hund konnte erkennen, dass sie nicht mit dem Herzen bei der Sache war. Sie briet das Schwein, und wir aßen es, füllten uns mit dem saftigen Fleisch den Bauch und ließen die knackige Kruste in unseren Mündern krachen. Rasche, klare Bäche sorgten dafür, dass der Wasserschlauch immer gefüllt war. Wir schliefen eingewickelt in unsere Umhänge oder auf ihnen, unter den hellen Sommergestirnen.
Wir sprachen nur über die Reise, niemals über ihren Grund. Als Jee in ein Dorf ging, um Brot und Käse zu kaufen, brachte er nur wenige Neuigkeiten mit zurück. In diesem abgelegenen Dorf hörte man sogar noch weniger als in Apfelbrück, wo zumindest ab und zu Reisende vorbeikamen. Niemand hatte eine Armee von Wilden erwähnt, die in das Königinnenreich eingedrungen war, und wir sprachen auch unter uns nicht darüber. Es war beinahe, als wären diese beiden Wochen von der übrigen Welt losgelöst und hielten uns drei in einer beweglichen Blase fest, durchsichtig und sanft gefärbt wie die Seifenblasen, mit denen sich Kinder am Waschtag vergnügten. Es gab keinen Regen und keinen heftigen Wind, keine Stürme. Die Nächte waren klar und warm, dufteten nach wildem Thymian und Waldblumen. Ich träumte nicht. Wir erlebten, so falsch er auch war, eine Art sanften Frieden.
Das Königinnenreich ist eine weite Ebene, im Norden und Westen von Bergen begrenzt und im Osten vom Meer. Die Berge im Norden sind kaum mehr als Hügel; dahinter liegt das Königinnenreich von Isabelle, die durch Heirat mit der kleinen Prinzessin Stephanie verwandt ist. Die Westlichen Berge sind hoch und gezackt. Im Süden gibt es weder Hügel noch Berge, sondern ein wildes, eigentümliches Land: Hochebenen, tiefe Schluchten und
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