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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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Junghäuptling, der Rache für seinen Vater nehmen wollte.
    Hoffnung ist eine seltsame Blüte, die selbst auf dem felsigsten Boden ums Überleben kämpft. An diesen Stuhl gefesselt, unter den mordlüsternen blauen Augen des Sängers, der zum Krieger geworden war, hoffte ich noch immer. Ich hoffte, man würde die Rache nicht in diesem Augenblick ausführen. Hoffte, Tarek, Sohn von Solek, Sohn von Taryn, würde mir beim Sterben zusehen wollen. Hoffte, der Junghäuptling wäre nicht in diesem Dorf, und wir würden morgen dorthin reisen, wo immer er sich aufhielt, und dass ich so ein paar weitere Tage am Leben blieb.
    Unter mir in der Küche hörte ich die zwei Wilden, die mich hergebracht hatten, lachen und trinken. Der Geruch von geräuchertem Schinken trieb über die Treppen herauf. Unglauben machte sich in meinem Verstand breit. Ich würde doch sicher nicht mit dem guten Geruch von Schinken in der Nase sterben; bestimmt würde ich nicht in dieser kleinen Kammer mit ihrer polierten Eichentruhe und dem bunten Flickenbezug auf dem Bett sterben; bestimmt würde ich nicht sterben …
    Dann nahm der ältere Krieger etwas aus einer Falte seiner zottigen Tunika. Ich hatte so etwas noch nie gesehen, aber es war mir schon einmal beschrieben worden, vor drei Jahren, von einem Lehrling der Stallknechte. Und ich wusste, dass ich in der Tat nicht sterben würde, zumindest nicht sofort, aber dass mir stattdessen der Tod willkommen gewesen wäre.
    »Nein!« Der Schrei entfuhr mir unwillkürlich, obwohl ich mich zugleich dafür schämte. Aber es würde nicht der letzte sein. Es war ein einfaches Gerät, eine geknotete Kordel, die zu einem Kreis geschnürt war, daran war ein Stock befestigt. Der ältere Wilde legte mir die Kordel eng um die Stirn. Er bewegte den Stab um eine halbe Drehung, und die harten Knoten bohrten sich mir in den Schädel.
    Ich schrie wieder auf. Der Schmerz war entsetzlich.
    »Du töten Solek, Sohn von Taryn«, sagte der ehemalige Sänger.
    Eine weitere Drehung des Stocks. Ich wand mich und schrie. Meine Blase entleerte sich.
    »Du töten Solek, Sohn von Taryn.«
    Wenn man den Stock lange genug drehte, würden mir die Augen aus dem Schädel quellen.
    »Du töten…«
    Ich floh auf dem einzig möglichen Weg vor dem Schmerz. Ich betrat den Pfad der Seelen.

8
    Dunkelheit …
    Kälte …
    Erstickender Dreck in meinem Mund …
    Würmer in meinen Augen …
    Erde, die meine fleischlosen Arme und Beine umschloss …
    Aber diesmal, zum ersten Mal, machten mir diese schrecklichen Empfindungen nichts aus. Sie waren besser als die Qual, die ich hinter mir gelassen hatte. Ein paar Minuten lang saß ich im Land der Toten, keuchte wegen des Schreckens, an den ich mich erinnerte, aber nicht vor Schmerz. Ich konnte hier Schmerzen spüren, aber nur von Verletzungen, die ich mir hier zugezogen hatte. Jedoch, auch wenn es nicht schmerzte, lag noch immer das geknotete Seil um meinen Kopf, und meine Arme und Beine waren noch immer an den Stuhl gefesselt, denn was immer ich an mir trage, reist mit mir.
    Ein kleines Stück von mir entfernt saß einer der Toten, ein Edelmann in einem altmodischen geschlitzten Wams, weiten, kurzen Kniehosen und grünen Strümpfen, aber natürlich nahm er mich überhaupt nicht wahr.
    Vorsichtig wackelte ich mit dem Stuhl, bis er umfiel. Dann schlängelte ich meinen Körper wie eine Art gekleideter und gestiefelter Regenwurm vorwärts, bis meine heile Hand sich um einen Stein schloss. Er war nicht richtig scharf, würde aber ausreichen. Geduldig rieb ich ihn über das Seil um meine Arme. Das wurde dadurch vereinfacht, dass der Wilde mich nicht an den Handgelenken hatte fesseln können– der Stumpf meiner fehlenden Hand wäre sonst zu mühelos aus den Fesseln geglitten. Deshalb hatte er mich mit den Schultern an den Stuhl mit der hohen Lehne gebunden, und ich konnte meinen gesunden Arm am Ellbogen beugen. Dennoch dauerte es lange, meinen Oberkörper von dem Stuhl loszuschneiden.
    Als meine Hand frei war, riss ich mir das geknotete Seil vom Schädel und warf es zu Boden. Vorsichtig betastete ich meine Schläfen an den Stellen, wo die Knoten gewesen waren. Meine Finger waren danach blutig. Ich rollte mich auf die Seite, um meine Fußgelenke von dem Stuhl loszuschneiden.
    Einige Augenblicke lang lag ich ruhig da, schwer atmend, und fragte mich, was passieren würde, wenn die Wilden meinen Körper im Land der Lebenden töteten. Ich vermutete, dass es mir dann nicht möglich sein würde zurückzukehren. Aber

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