Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
um Betsy Turner zu besuchen. Sie ist die Hure von Almsburg, weißt du. Sie hat mir ganz ängstlich erzählt, dass ein Teil der Armee des Junghäuptlings hier war und in den Häusern und Schuppen nach etwas gesucht hat. Oder, wie ich annehme, nach jemandem.« Er beäugte mich nachdenklich. »Tun diese Wunden weh?«
»Natürlich tun sie weh!«
»Haben dir die Soldaten auch die Hand abgehackt?«
»Nein. Ich habe sie vor langer Zeit verloren.«
Er nickte, während er meinen Handstumpf betrachtete.
Wieder versuchte ich aufzustehen. Diesmal trugen mich meine Beine, wenn ich mich mit der einen Hand auf dem Bettgestell abstützte. Mein Kopf pochte und brannte, aber der Schmerz war auszuhalten. Ich musste jetzt fort von hier. Weitere Wilde konnten jeden Augenblick auftauchen. Ich versuchte, meine Stimme so gebieterisch wie möglich klingen zu lassen und sagte: »Hör mir zu, Bursche. Ich werde dir ein Silber geben, wenn du niemandem davon erzählst, dass du mich hier gesehen hast. Wenn du jetzt gehst, zurückkehrst zu deinen Schafen oder zu… der Hure, oder zum Haus deines Vaters, werden die Wilden nie erfahren, dass du hier gewesen bist. Man wird dir nichts tun. Und du bist um ein Silberstück reicher.« Ich hoffte, dass er jung genug– behütet genug– war, dass ihm ein Silberstück wie ein Vermögen vorkommen würde.
Er sagte sofort: »Nimm mich stattdessen mit.«
Ich starrte ihn an. »Dich mitnehmen? Aber du… ich…«
»Ja!« Begeisterung erfüllte ihn, zusammen mit einer naiven Furchtlosigkeit, und ich erkannte, dass er jünger sein musste, als er mir wegen seiner Größe und Masse erschienen war. »Du kennst das Land nicht so wie ich. Du bist geschwächt von der Folter. Du hast nur eine Hand.«
Wenn er einen meiner Nachteile ausgelassen hatte, wusste ich nicht, welchen.
»Außerdem«, fügte er hinzu, »wenn die Wilden nach einem Mann suchen, können zwei sie in die Irre führen. Wir könnten so tun, als wären wir Vettern. Oder Brüder. Wir könnten uns Namen ausdenken, die zusammenpassen.«
»Das ist kein Spiel!«
»Ich weiß. Aber ich will trotzdem mit dir gehen. Mit dir und dem Hund.« Mit den Fingern rieb er über Schattens Ohren. Der Hund leckte ihm die Hand.
»Dein Vater würde dir Männer hinterherschicken.«
»Nein. Ich werde noch einen Tag lang nicht von der Schafweide zurückerwartet. Ich bin wegen Betsy herabgekommen.«
»Aber wenn dein Vater…«
»Hör auf mit meinem Vater«, sagte er in einem anderen Tonfall, grimmig und bitter. »Der stinkende alte Geizkragen wird nicht nach mir suchen. Er hasst mich, und ich hasse ihn; er wird froh sein, wenn er glaubt, dass ich verschwunden oder– noch besser– gestorben bin.«
Ich sagte nichts, weil ich mich an meinen eigenen Stiefonkel Hartah erinnerte.
»Ich kann dir nützlich sein. Ich kenne das Land genauso gut, wie ich Betsy Turners Hintern kenne. Außerdem bin ich der beste Spurensucher in den drei Grafschaften. Aber wir müssen gleich aufbrechen, weißt du. Die Dorfbewohner haben sich alle in ihren Häusern eingeschlossen, ängstlich wie die Mäuse, aber sie werden nicht ewig drinbleiben.«
Er hatte recht. Ich traf eine rasche Entscheidung. Immerhin konnte ich ihn immer noch zurücklassen, sobald wir einmal in den Unbeanspruchten Landen waren, konnte mich wegschleichen, während er schlief, wie ich von Maggie weggeschlichen war. »In Ordnung. Ich bin froh über deine Hilfe.«
»Dann gehen wir!«, sagte er viel zu glücklich.
Wir gingen nach unten, wobei ich mich bei jedem Schritt auf der schmalen Treppe an der Wand festhielt. Die Küchentür stand noch offen in der sanften Sommernacht. Schatten hatte keinerlei Schwierigkeiten gehabt einzudringen. Die anderen beiden Wilden lagen flach auf dem Boden. Blut und Bier vermengten sich auf den Fliesen. In einer Ecke standen vier lange Gewehre, für deren Einsatz Schatten den Wilden nicht die Zeit gelassen hatte. Der Junge schnappte sich eines.
»Das kannst du nicht mitnehmen«, sagte ich. »Das macht zu viel Lärm. Und weißt du überhaupt, wie man es benutzt?«
»Ich kann es lernen.« Er beugte sich über die toten Soldaten.
»Komm, wir haben keine Zeit!«
»Nur einen Augenblick.« Rasch filzte er die Taschen beider Männer, steckte etliche Gegenstände, die ich nicht sah, in seine eigenen und griff nach einem halb geleerten Krug auf dem Tisch. Er leerte ihn und grinste mich an, ganz wie ein Junge, der gerade irgendeinen Tand auf einem Sommerfest gewonnen hat. Im besseren Licht der
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